Der Tod, mit dem Handy gefilmt

Die Hinrichtung des irakischen Exdiktators Saddam Hussein am Tag des sunnitischen Opferfestes legt einen krassen Mangel an Rechtsstaatlichkeit nahe

VON INGA ROGG

Viele Versprechen hat der irakische Regierungschef in seiner gut siebenmonatigen Amtszeit nicht gehalten. Doch in einem hielt er Wort. Saddam Hussein werde noch in diesem Jahr hingerichtet, hatte Nuri al-Maliki angekündigt, nachdem der Diktator im November zum Tode verurteilt worden war. Am Samstag war es so weit: Um kurz nach sechs Uhr morgens wurde Saddam Hussein in Bagdad gehängt.

Wenige Stunden nach der Hinrichtung im Morgengrauen strahlte der irakische Staatssender al-Irakia eine kurze Sequenz der Videoaufzeichnung aus, die insgesamt 15 Minuten lang sein soll. Es ist aber vor allem ein zweites Video, das nur wenige Stunden später über das Internet auch den Weg in die irakischen Fernsehsender gefunden hat, das einen krassen Mangel an Rechtsstaatlichkeit nahelegt. Aufgenommen wurden die Bilder offenbar mit einer Handy-Kamera von einem der wenigen Zeugen.

Die wackligen Bilder zeigen, wie Saddam von den Henkern zum Galgen geführt wird und wie sie ihm die Schlinge mit einem riesigen Knoten um den Hals legen. Während die Henker die letzten Vorbereitungen treffen und Anwesende den Propheten Mohammed anrufen, ruft einer plötzlich: „Moktada, Moktada, Moktada.“ Das ist der radikale schiitische Prediger und Milizenchef Moktada as-Sadr, dessen „Mahdi-Armee“ für unzählige Morde an Sunniten verantwortlich gemacht wird und dessen Vater 1999 vermutlich vom Saddam-Regime umgebracht wurde. Im nächsten Bild ist Saddam mit einem abschätzigen Lächeln zu sehen. Was er sagt, ist kaum zu versehen. Es folgt ein Stimmengewirr, in dem einer der Richter nach Angaben von Irakern die Anwesenden zur Räson ruft und sie daran erinnert, dass der Mann vor ihnen gleich sterben wird. Im Hintergrund wird eine Stimme laut, die an Mohammed Baker as-Sadr erinnert. Der Onkel von Moktada as-Sadr wurde 1980 zusammen mit seiner Schwester von Saddam hingerichtet. Er war nicht nur einer der einflussreichsten Denker des schiitischen Islam, sondern auch der Gründer der Dawa-Partei von Regierungschef Maliki. Während Saddam und mehrere Anwesende das islamische Glaubensbekenntnis sprechen, öffnet der Henker die Metallklappen unter dem Galgen, Saddams Körper sackt nach unten. Nach einer Weile zeigt die Kamera Bilder von Saddams Kopf, den Strick noch um den Halsen, die Augen halb geöffnet.

Der Exdiktator sei als „sehr, sehr, sehr gebrochener Mann“ gestorben, sagte der Nationale Sicherheitsberater Mowaffak al-Rubaie nach der Hinrichtung. Die jetzt bekannt gewordenen Aufnahmen bestätigen dies nicht. Sie zeigen eher ein unwürdiges Spektakel, das an die Zeiten erinnert, in denen man die gestürzten Herrscher der Lynchjustiz durch den Mob überließ. Statt ihn am Strick durch die Straßen zu schleifen, hat man ihn jetzt eben mit der Kamera gefilmt. Die Sunniten werden sich in ihrer Meinung bestätigt sehen, hier sei von schiitischen Milizionären Rache geübt worden.

Insofern kann sich die schnelle Vollstreckung des Todesurteils, das erst am vergangenen Dienstag von der Berufungsinstanz bestätigt worden war, noch als Pyrrhussieg erweisen. Sie wurde gegen die Widerstände in der Regierungskoalition, aber offenbar auch gegen die Amerikaner durchgesetzt. Laut der Verfassung müssen Todesurteile vom Präsidenten und seinen beiden Stellvertretern unterzeichnet werden. Präsident Jalal Talabani, ein Kurde, der die Todesstrafe offiziell ablehnt, entzog sich nach Angaben aus Bagdad dem Dilemma, indem er sich von Richtern des Sondertribunals bestätigen ließ, dass seine Unterschrift – und damit auch die seines schiitischen und sunnitischen Stellvertreters – nicht nötig sei. Das Statut des Sondergerichts schließt eine Amnestie durch den Präsidenten explizit aus. Gleichwohl ebnete Talabani den Weg für die Urteilsvollstreckung, indem er in einem Brief an das Gericht die grundsätzliche Rechtmäßigkeit des Urteils bekräftigte.

Das irakische Recht wie auch die islamische Tradition verbietet Hinrichtungen an hohen religiösen Feiertagen. Am Samstag hat jedoch für die Sunniten das islamische Opferfest begonnen, für die Schiiten begann es erst am Sonntag. Aus Kreisen der Regierung heißt es, islamische Rechtsgelehrte hätten mit einem Rechtsgutachten noch Freitagnacht dieses Hindernis aus dem Weg geräumt. Maliki habe daraufhin das Justizministerium noch in der Nacht aufgefordert, die Todesstrafe unverzüglich zu vollstrecken. Bilder, wie Maliki die Order lächelnd unterzeichnet, zeigte später das Staatsfernsehen. Wenige Stunden später wurde Saddam Hussein von seinen amerikanischen Bewachern an die Iraker ausgehändigt.

Mit Saddams Hinrichtung zum Auftakt des islamischen Opferfestes hat Maliki einen höchst symbolischen Tag gewählt. Es war während des Fastenmonats Ramadan, als das Regime 1982 die schiitische Ortschaft Dujail für einen Attentatsversuch von Malikis Dawa-Partei dem Erdboden gleichmachen und später 148 Schiiten, unter ihnen auch Minderjährige, hinrichten ließ.

Es stellt sich die Frage, warum die beiden mit Saddam zum Tode Verurteilten, sein Halbbruder Barzan und der Chef des berüchtigten Revolutionsgerichtshofs, Awad al-Bander, nicht ebenfalls jetzt hingerichtet wurden. Zudem erfolgte die Hinrichtung inmitten des laufenden Verfahrens „Anfal“ wegen des Massenmordes an den Kurden. Sie werden ebenso wenig die juristische Bestätigung für das an ihnen begangenen Unrecht erhalten wie die zehntausenden Schiiten, die nach der Niederschlagung ihres Aufstands 1991 in Massengräbern verscharrt wurden.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Leiche des ehemaligen Diktators von einem US-Helikopter in seinen Heimatort in der Nähe von Tikrit geflogen wurde. Dort wurde er nach islamischem Ritus so schnell wie möglich nach dem Tod in einem Gebäude beigesetzt, das er in seiner großherrlichen Art zum eigenen Ruhm hatte bauen lassen.