Atomkritischer Störfall

Geheimsache AKW Brunsbüttel: Deutsche Umwelthilfe und Kieler Energieministerium streiten mit markigen Worten und vor Gericht über angebliche Mängelliste des Reaktors. Betreiber Vattenfall klagt derweil über Personalprobleme

Es kracht gewaltig zwischen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und der schleswig-holsteinischen Atomaufsichtsbehörde. Bei Sicherheitsfragen des Atommeilers Brunsbüttel an der Unterelbe gebe es offenbar eine „Komplizenschaft“ zwischen dem Kieler Sozialministerium, das auch für die Reaktorsicherheit im Lande zuständig ist, und dem Energiekonzern Vattenfall, mutmaßt die DUH. Anders sei es nicht zu erklären, warum das Ministerium die Information der Öffentlichkeit scheue, kritisiert DUH-Justiziarin Cornelia Ziehm. Das sei „Verunglimpfung“, keilt die so gescholtene Ministerin Gitta Trauernicht (SPD) ebenso markig zurück.

Anlass für den atmosphärischen Störfall ist die Ankündigung der DUH, das Ministerium vor dem Verwaltungsgericht Schleswig zu verklagen. Mit einem Antrag auf „sofortige Vollziehbarkeit“ wollen die Berliner Umweltschützer die Herausgabe einer umfangreichen Liste erzwingen, die angeblich Sicherheitsmängel im Atommeiler Brunsbüttel enthält. Auf der Grundlage der Umweltinformationsrichtlinie der EU verlangt die DUH seit Monaten, dieses Dokument zu erhalten. Wenn dessen Inhalt „harmlos ist“, findet DUH-Geschäftsführer Rainer Baake, könne das „ja kein Staatsgeheimnis sein“. Die „Informationsblockade“ des Ministeriums nähre allerdings den Verdacht, dass die Liste „gravierende Sicherheitsmängel“ benenne.

Das begehrte Dokument enthält, darüber sind DUH und Ministerin sich einig, „offene Punkte“ zu Sicherheitsfragen des Atomkraftwerks. „Hunderte“ Fragen seien das, vermutet Baake, lediglich von „einer Reihe“ spricht Trauernicht. Diese begründeten allerdings „kein sicherheitstechnisches Defizit, das einen sofortigen Handlungsbedarf auslöst“, so die Ministerin. Genau das aber möchte die DUH gerne selbst überprüfen: „Wir wollen diese Liste haben“, bekräftigt Pressesprecher Gerd Rosenkranz auf Nachfrage der taz.

An dem Streit ist eigentlich AKW-Betreiber Vattenfall schuld. Denn Trauernicht verweigert die Herausgabe der Liste nur, weil der Atomkonzern gegen die Veröffentlichung klagt. Anfang November hatte das Kieler Ministerium den Anspruch der DUH auf Auskunft grundsätzlich anerkannt. Nachdem Vattenfall dagegen vor Gericht zog, sah die Aufsichtsbehörde aber von der Offenlegung ab. Diese sei erst nach gerichtlicher Klärung möglich.

Wenn die DUH deshalb ihrem „streng sicherheitsorientiert arbeitenden“ Ministerium unterstelle, es wolle dem Konzern „hohe Nachrüstinvestitionen ersparen“, dann sei das „nicht nur falsch, sondern starker Tobak“, findet Trauernicht. Mit einigem Grund, hat sie doch mehrfach Andeutungen von Vattenfall, den Anfang 2009 zur Abschaltung vorgesehenen Reaktor länger laufen zu lassen, eindeutig kritisiert. Nach dem schweren Störfall im Sommer im schwedischen AKW Forsmark, das in großen Teilen baugleich mit Brunsbüttel ist und ebenfalls von Vattenfall betrieben wird, hatte Trauernicht zudem erneut „die Notwendigkeit des konsequenten Ausstiegs aus der Atomenergie“ bekräftigt.

Während also die Atomkraftgegner von DUH und Ministerium sich gegenseitig Vorwürfe machen, quälen Vattenfall ganz andere Sorgen. Der Konzern beantragte nach DUH-Angaben gestern vor Gericht eine dreiwöchige Fristverlängerung, um seine Klage gegen die Herausgabe der Liste zu begründen. Als Grund gab er urlaubs- und krankheitsbedingten Personalmangel an. SVEN-MICHAEL VEIT