: „Mein Timbre musste erst reifen“
IKONE Die britische Musikerin und Schauspielerin Marianne Faithfull, 64, über die Ehe, die freie Liebe, die Drogen und das Leben zwischen Dublin und Paris
■ am 29. Dezember 1946 in London geboren, begann ihre Karriere im Jahr 1964 mit einem Song, den Mick Jagger und Keith Richards für sie geschrieben hatten: „As Tears Go By“. Nach der Trennung von Mick Jagger rutschte sie in eine Drogensucht ab, aus der sie sich erst 1985 befreien konnte. Mit dem Album „Broken English“ erlebte sie schon 1979 ein Comeback. Zuletzt arbeitete sie vor allem als Schauspielerin („Irina Palm“). Jetzt erscheint ihr neues Album „Horses And High Heels“.
INTERVIEW DAGMAR LEISCHOW
taz: Frau Faithfull, sind Sie nostalgisch?
Marianne Faithfull: Ganz bestimmt nicht. Ich bin kein Mensch, der ständig an früher denkt. Das Jetzt ist mir wichtig.
Trotzdem haben Sie gleich in zwei Autobiografien Ihre Vergangenheit Revue passieren lassen. Warum?
Weil das Bild, das viele Menschen von mir hatten, völlig unrealistisch war. Natürlich, in meinem Leben gab es ein paar Turbulenzen. Aber mich in eine Opferrolle zu pressen, das ist Quatsch. Ich wusste immer genau, was ich tue. Und habe einiges ausprobiert. Auch Drogen.
Wollen Sie ernsthaft behaupten, dass Sie nichts bereuen?
Wenn jemand wie ich mit Mitte 60 zurückschaut, wird sie niemals sagen: Alles war toll! Bei mir ist einiges schiefgelaufen, allerdings kann ich das nicht so genau definieren. Nur eins ist klar: Ich hätte mir kein Heroin spritzen dürfen. Meine Sucht hat mich immer weiter heruntergezogen. Durch die Droge habe ich viele wertvolle Jahre verschenkt, in denen ich besser mal gearbeitet hätte.
Sie singen, drehen Filme, spielen Theater. Sehen Sie sich eher als Musikerin oder als Schauspielerin?
Ich will mich da nicht festlegen. Für mich ist das mehr so eine Gefühlssache. Meine Songs, meine Rollen sollen unter die Haut gehen, bewegen. Wobei ich es beim Drehen oder im Theater sehr genieße, mal nicht Marianne Faithfull sein zu müssen, sondern total in einer anderen Figur aufzugehen.
Seltsam: Gerade Sie gelten als jemand, die nicht gern die zweite Geige spielt.
Das stimmt. Ich bin ziemlich kompliziert, eine richtige Egoistin. Tut mir leid, dass ich es meinen Mitmenschen manchmal schwer mache. Aber bei der Arbeit bin ich durchaus erträglich, sonst hätten mich wohl nicht Stars wie Damon Albarn und Lou Reed unterstützt.
Für Ihr neues Album, „Horses And High Heels“, haben Sie die Musik des verstorbenen Rolling-Stones-Musikers Brian Jones gesampelt.
Das Sample findet sich in dem Stück „Eternity“, um genau zu sein. Brian hatte ja ein Faible für Musikexperimente. Darum nahm er in Marokko mit den Master Musicians of Jajouka ein Album auf, es hieß „Brian Jones presents: The Pipes Of Pan At Jajouka“.
Mal ehrlich: Haben Sie diese Klänge wieder an die Zeit erinnert, die Sie mit den Rolling Stones verbracht haben?
Nein. Grundsätzlich will ich mir den Stempel des ewigen Rolling-Stones-Chicks nicht länger aufdrücken lassen. Da halte ich dagegen: Ich war schon in den 60er Jahren mehr als Mick Jaggers Freundin. Schließlich hatte ich damals selber Hits, etwa „As Tears go by“. Und vergessen Sie nicht: Den Song „Sister Morphine“ habe ich gemeinsam mit Mick geschrieben.
Allerdings hielten die meisten Kritiker Ihre Stimme für recht bescheiden.
Irgendwie hat das auch meinen Stolz verletzt. Mein rauchiges Timbre musste eben erst reifen – das war ein ganz langer Prozess, er dauerte Jahre. Plötzlich konnte ich sogar Kurt-Weill-Lieder interpretieren.
Ihre Fans ziehen bei Ihren Konzerten Klassiker wie „Broken English“ vor. Stört Sie das nicht?
Nein. Sicher liegt die Zeit der Baader-Meinhof-Bande weit zurück, mehr als 30 Jahre. Doch Ulrike Meinhof fasziniert mich bis heute. Sie war eine Frau, die von ihrem Weg abgekommen und auf einem dunklen Pfad gelandet ist. Den Gründen dafür wollte ich auf die Spur kommen. Deshalb habe ich mich für mein 1979 erschienenes Album „Broken English“ mit ihr beschäftigt.
Sehen Sie Ulrike Meinhof als Ihre Seelenverwandte?
Das wäre nun wirklich übertrieben. Obwohl wir beide eine irre Wut in uns gespürt haben. Sie ließ ihren Frust raus, richtete ihn gegen die Gesellschaft und hat sich der Gewalt verschrieben. In meinem Falle war das völlig anders. Ich habe meine Aggressionen auf die eigene Person projiziert. Das hat sich immer mehr potenziert, mit Drogen und so weiter. Ich war traurig und fiel in eine so tiefe Depression, dass ich eine Therapie machen musste.
Jetzt wirken Sie sehr entspannt.
Tatsache ist: Es geht mir fantastisch, besser als jemals zuvor. Ich habe gelernt, gut zu meinem Körper zu sein. Keine Drogen, kein Alkohol, ich ernähre mich gesund, schlafe viel. Ab und zu gönne ich mir eine Massage. Mein einziges Laster ist das Rauchen. Hoffentlich schaffe ich es bald, damit aufzuhören. Ich will ja noch möglichst lange leben.
Als Junkie und durch Ihre Krebserkrankung waren Sie dem Tod einige Male nah. Inwiefern hat Sie das verändert?
Ich bin durch diese Erfahrung nicht religiös geworden. Heute ist meine Lebenseinstellung wesentlich positiver als früher. Mir ist klar geworden, dass das konventionelle Glück der anderen, also Ehemann, Familie und so, nicht zwangsläufig mein eigenes ist. Für mich hängt Glücklichsein ganz eng mit meinem künstlerischen Schaffen zusammen. Wenn ich als Schauspielerin oder Sängerin etwas geleistet habe, steigert das mein Selbstbewusstsein enorm. Ich bin dann sehr zufrieden mit mir. Total happy!
Woher kommt denn dann die Melancholie, die einen Song wie „Why Did We Have To Part?“ durchzieht?
Wenn man von dieser Nummer absieht, klingt mein neues Album durchweg optimistisch. Aber Sie haben recht: „Why Did We Have To Part?“ ist ein wehmütiges Trennungslied. Es hat mir geholfen, das Ende einer langen Partnerschaft aus dem richtigen Blickwinkel zu betrachten. Es kann ja recht schwierig sein, von einem Mann loszukommen. Mick Jagger habe ich fast 30 Jahre hinterhergetrauert.Stehen Sie noch in Kontakt zu ihm?
Nein. Aber Keith Richards steht mir sehr nah. Auch Charlie Watts sehe ich von Zeit zu Zeit.
Hatten es die Stones in den 60ern leichter als Sie?
Ja. Nur konnte ich das damals noch nicht so gut einschätzen. Ich habe erst später begriffen, dass ich als Mann besser über die Runden gekommen wäre. Früher waren alle Augen auf mich gerichtet, weil ich als Sexsymbol galt. Es war sehr surreal: Die Leute glaubten, ich sei bloß eine Marionette der Popstars. Dabei wollte ich mich nie von ihnen abhängig machen. Ich weigerte mich, eine Konformistin zu sein.
Dennoch waren Sie dreimal verheiratet.
Die beiden ersten Ehen waren ganz glücklich, die dritte war ein fataler Fehler. Danach merkte ich, wie wenig ich eigentlich für diese bürgerliche Institution übrig habe. Sie ist mir zu zwanghaft, ich will einen Menschen freiwillig lieben.
Sehnen Sie sich nach der freien Liebe der 60er und 70er Jahre zurück?
Nein. Ich bin da ganz schnell an meine Grenzen gestoßen. Wegen meiner Eifersucht.
Sie vermissen den Hedonismus der Swinging Sixties also nicht?
Kein bisschen. Ich habe auch nicht mehr so große Lust aufs Ausgehen. Heute lebe ich eher zurückgezogen und bleibe gern zu Hause.
Sie pendeln zwischen Paris und Dublin.
Das gute alte Dublin ist für mich wie ein Kumpel: bodenständig und authentisch. Ich mag die Atmosphäre dieser Stadt. Obwohl ich außerhalb wohne, im County Meath. Dort genieße ich die Ruhe. Manchmal treffe ich Freunde, sonst gehe ich oft spazieren. Ich bin nämlich sehr naturverbunden. Doch das ist nur eine Seite von mir. Die andere liebt das elegante, schicke Paris, mit seinen Museen und den Fashion-Shows.
Sie tragen eine Chanel-Jacke. Vom Make-up bis zur Frisur ist Ihr Styling perfekt …
Ich bin nicht besonders auf mein Äußeres fixiert. Wer „Intimacy“ gesehen hat, weiß: Ich habe kein Problem damit, ungeschminkt vor der Kamera zu stehen. Und als Irina Palm war ich ja auch nicht besonders attraktiv. Mein Sexappeal ging da gegen null. Das waren aber bloß Rollen, die mit der wahren Marianne Faithfull gar nichts zu tun hatten. Ich kann Ihnen versichern, dass ich privat genauso uneitel bin. Ungeachtet dessen ist Älterwerden für niemanden leicht. Dafür spüre ich heute eine Kraft in mir, die ich mit 20, 30 nicht hatte.