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Archiv-Artikel

Musik und Kalter Krieg

„Wozu sind Kriege da?“ So entwaffnend naiv zu fragen wie Udo Lindenberg vor dreißig Jahren, ist nicht jedem vergönnt. Man nehme zum Beispiel den jungen Mann auf dem abgebildeten Plattencover: Könnte er, wie er frontal und scheinbar völlig ungerührt in die Kamera blickt, dazu ein „Tommy Gun“ auf das Knie gestützt, nicht ebenso gut aus dem Bekenner-Video einer Terrororganisation stammen?

Wir schreiben das Jahr 1980, die west-östliche Entspannungspolitik hat kurz zuvor mit dem NATO-Doppelbeschluss und dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan einen heftigen Rückschlag erfahren. Eigentlich Anlass genug, sich als Künstler auf das Schlimmste gefasst zu machen. Wie der Rest der Menschheit machen sich auch Musiker zu Zeiten des Kalten Kriegs Sorgen um die Zukunft der Welt. Viele mit großem Erfolg, man denke nur an die „Cruise Missiles“ von Fisher-Z oder Nenas „99 Luftballons“. Eine militante Pose nehmen sie freilich selten ein.

Bewaffneten Widerstand will aber auch der Mann mit den Wuschelhaaren weder predigen noch praktizieren. Bobb Trimble, wie er sich nennt, hat einfach Angst. Und von der berichtet er auf seinem im Alleingang produzierten ersten Album „Iron Curtain Innocence“. Die Unschuld scheint er sich trotz des Eisernen Vorhangs irgendwie doch noch bewahrt zu haben. So singt er vom zerschlagenen „Stundenglas der Hoffnung“, dessen Sandkörner er nie mehr wird aufsammeln können, berichtet von einer Nacht im Irrenhaus, in das ihn sein desolater Zustand gebracht hat, um endlich auszumalen, was geschieht, „Wenn der Rabe ruft“: Dann beginnt nämlich der Dritte Weltkrieg.

Plötzlich ist sie also doch da, die Naivität. Trimble will das Ende der Welt natürlich mit allen friedlichen Mitteln verhindern. Mit psychedelisch-apokalyptischer Popmusik zum Beispiel. Statt zum Kampf ruft er zur Rettung der Welt und der Kinder auf. Was man eben so tut in seiner Verzweiflung.

Heute stehen statt sowjetischen Soldaten amerikanische oder EU-Einheiten in Afghanistan. Von atomarer Bedrohung ist seltener die Rede. Dafür sieht man immer häufiger junge Menschen, die mit Waffen vor der Kamera posieren. Sie machen in der Regel nicht so schöne Musik wie Trimble. Dafür machen sie meistens Ernst mit dem Töten.

Bobb Trimble hat übrigens nach nur zwei Platten eine Pause von fast dreißig Jahren eingelegt, in der er ziemlich wenig getan hat. Jetzt arbeitet er an neuem Material. Wer ihn, der lange Zeit arbeitslos war, dabei unterstützen will, kann ihm sogar spenden. Einen Aufruf gibt es unter www.bobbtrimble.com.

TIM CASPAR BOEHME