Tramfahren bildet

Ab heute ist es Heinrich Heine: Auf den Ticketautomaten der Bremer Straßenbahnen wecken Verse Appetit auf Lyrik

Irgendwann muss Lyrik triumphieren. Na klar, nichts ist schneller übersehen als ein Gedicht, aber jede Woche ein neues, passend zu Jahreszeit oder Anlass, das dringt irgendwann ins Bewusstsein, erreicht die Köpfe. Wenigstens die der zahlenden Fahrgäste: Auf den Monitoren der Ticket-Automaten der Straßenbahn erstrahlen Verse, seit fast anderthalb Jahren. „Gerade“, präzisiert Designer Fabian Bojé, „habe ich den 70. Bildschirm abgeschickt.“

Diesmal ist es Heine, das Gedicht 64 aus dem Zyklus „Die Heimkehr“, und der findet sich im Buch der Lieder. Bojé hat die Verse mit Messer und Gabel gerahmt „etwas Handfestes“. Passend zu den Versen, die den „braven Mann“ rühmen, der „mir zu essen“ schafft: „Schade, dass ich ihn nicht küssen kann“, lautet, passend zum Arbeitsmarktbericht, die Pointe: „Denn ich bin selbst dieser brave Mann.“

Um 0 Uhr hat die BSAG die gestalteten Monitore auf die Apparate in den Trams verteilt, per Funksignal. Und jetzt poppt zwischen Tarifzonen-Tableau, Bustouren- und Trägerdienstwerbung Heine auf, so wie bis Mitternacht die melancholischen Zeilen des weitgehend vergessenen Hermann Lingg: Ein Fremdkörper in der Prosa des Alltags, unkommentiert, nur durch den Autorennamen und einem Verweis auf die Apollon-Stiftung ergänzt, die den Straßenbahnern das Projekt schmackhaft gemacht hat.

Acht Sekunden nur? Das war zumindest das gestern auf unterschiedlichen Linien gestoppte Intervall. Vielleicht war es aber nur eine Panne. Renato Mismeti ärgert sich trotzdem ein bisschen darüber, denn: „Das wäre ein Rückschritt“, sagt er. Schließlich hatte der künstlerische Leiter der Apollon-Stiftung die BSAG schließlich doch überredet, von 10 auf 30 Sekunden zu verlängern. Es hatten sich auch Kunden beschwert, dass die Zeit zum Lesen nicht reicht. „Acht Sekunden“, so Mismeti, „das wäre wirklich zu kurz.“

Mismeti hatte die Idee zu „Poesie bewegt“ – und „natürlich ist das“, sagt er, „ein naives Projekt“: Es geht nur darum die Leute zu erreichen, „sie zu sensibilisieren – und für die Kunst zu wecken“. Und zwar da, wo nicht mit ihr zu rechnen ist. Dort sei es „die Dichtung selbst“, die spreche. Und hungrig machen kann nach mehr. Darauf müsste dann die BSAG reagieren – und ihre Automaten mit einer Lyriktaste ausstatten. bes