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Archiv-Artikel

Gefühlte Wellness

Die Elendsfrömmelei hat ein Ende: Die Wirtschaft erlebt ein weiteres „Wunder“, die Konjunktur verspricht nur Gutes, und die Stimmung im Land ist plötzlich super – aber darf das wirklich sein?

VON JAN FEDDERSEN

Es will sich partout keine schlechte Laune einstellen in diesem neuen Jahr. Die CSU und die Gesundheitsreform – wird die Merkel schon regeln, und zwar gegen die abhalfternde Schwester in Bayern. Und die Arbeitsmarktzahlen? Besser denn je seit der Wende 1990. Knapp 10 Prozent nur ohne Job – Tendenz: besser werdend. Sind jetzt viele froher? Nein, natürlich nicht. Das Geschäft der Unken will sich ja nicht selbst bankrottieren. Einer wie Alfred Steinherr vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung mäkelt also: „Wir sind noch nicht zu einer neuen Lokomotive geworden, sondern immer noch ein Klotz.“

Nur das Schlimmste?

Mit der Formulierung in der ersten Person Plural meint er im Übrigen Deutschland im Allgemeinen und seine Ökonomie im Besonderen. Andererseits üben sich linke Interpreten der Zahlen aus Nürnberg in allerdings erwartungsgemäßer Elendsfrömmelei. Alles schön und gut, heißt es, aber die Langzeitarbeitslosen! Die Abstiegsbedrohten und die Armen! In der Summe darf man sagen, dass alle irgendwie das Schlimmste befürchten, wenn auch nicht für alle und gleich jetzt, sondern für die mit Mühsal am ärgsten Beladenen und gewiss in Bälde.

Tatsache jedenfalls ist: Hierzulande wird das Geld verpulvert wie seit langem nicht; die meisten der Prekären glauben, dass es besser wird; das Gros der Menschen ist ohnehin weitgehend desinteressiert an Arbeitslosenzahlen. 10 Prozent joblos heißt ja auch, dass es 90 Prozent nicht sind. Von einem Wirtschaftswunder zu sprechen, ist dennoch etwas delirierend, vor allem, wenn solche Rede sich auf die Fünfzigerjahre bezieht.

Gemessen an den frühen Fuffzigern sind die heutigen Zeiten ohnehin paradiesisch. Krankenversicherung auf einem solchen Niveau? Undenkbar. Die Renten? Kümmerlich. Die Arbeitslosenquote? Erschreckend. Armut? Allgegenwärtig, auch der Kriegsfolgen wegen. Vollbeschäftigung gab es erst in den späten Jahren jenes Jahrzehnts. Die gefühlte Lage war trotzdem besser.

Ein Volk von Aufstiegswilligen wollte aufsteigen – und mühte sich krachend. Feierte Partys, hielt die Unterhaltungsindustrien am Leben (Kinos und Kneipen), fraß, soff und hatte viel zu tun, ein Leben in Frieden, ohne Führerdiktate, zu üben. Die Schlager des Jahrzehnts hießen „Schaffe, schaffe, Häusle baue“ und „Komm ein bisschen mit nach Italien“: eine popmusikalisch präzis umrissene Matrix dessen, was war.

Zeigefingermoral

Und was ist? Nur gute Stimmung, nix dahinter? Alle Konjunktur- und Arbeitsmarktforscher werden sich irren, deren Kritiker, die wie sie gern Kassandren sind, auch. Offenbar hat man keine Lust mehr, sich alles mies reden zu lassen. Die Zeigefinger, warnend auf Unzulängliches gerichtet, werden zur Seite geschoben. Die Popkultur hat sich längst darauf eingestellt. In den Charts – denen des Kinos wie der Musik – keine depressiven Acts mehr: Man hat offenkundig den „Alles kann nur in Chaos münden“-Ton satt.

Irgendetwas, das Aufbruch genannt werden darf, wird in diesem Land gut gefunden. Wer jetzt noch meckert, hat schon verloren. Vielleicht nicht wissenschaftlich, nicht das Recht auf einen anderen Blick: Es nimmt sich aber nur wie Lebensstilverlierertum aus.