: Kein Freund und Helfer
Wer eine dunkle Hautfarbe hat, kann nicht immer auf die Hilfe der Polizei zählen. Bei der Beratungsstelle ReachOut melden sich rund 50 Menschen im Jahr, die durch Beamte diskriminiert wurden. Zum Beispiel Alejandro Flores Aguilar und Metin Koșar
VON ISABELLA KEMPF
Ratlos blickt Alejandro Flores Aguilar auf seine leere Kaffeetasse. „So etwas hätte ich nicht für möglich gehalten“, sagt er, während er mit einem Löffel am eingetrockneten Milchschaum kratzt. Der 30-Jährige Soziologiestudent aus Guatemala lebt seit fünf Jahren in Berlin. Er habe sich hier immer wohl gefühlt, sagt er. Und habe nie den Eindruck gehabt, dass die Leute ein Problem damit hätten, dass er Ausländer sei.
Schon gar nicht erwartet hätte er, dass Berliner Polizeibeamte sich ihm gegenüber rassistisch verhalten. Dass diese ihn nicht nur beleidigen und herablassend behandeln, sondern auch gewalttätig – er sagt, ohne Grund. Den Beamten reichte offensichtlich, dass er eine dunklere Hautfarbe hat und Deutsch mit lateinamerikanischem Akzent spricht.
Biblap Basu kennt solche Geschichten zur Genüge. Er arbeitet bei „ReachOut“, einer vom Senat und dem Bundesfamilienministerium finanzierten Beratungsstelle. Dorthin können sich Menschen wenden, die Opfer von Rassismus, Diskriminierung und rechtsextremistischen Angriffen geworden sind. Das fünfköpfige Beraterteam klärt über die Rechtslage auf, unterstützt bei der Suche nach Anwälten und begleitet Betroffene zu Behörden, Polizei oder Ärzten. Ziel ist, die Öffentlichkeit für das Ausmaß von Rechtsextremismus in Berlin zu sensibilisieren.
Etwa 35 Prozent der Leute, die Hilfe bei ihm suchen, seien Opfer rassistisch motivierter Polizeigewalt, sagt Basu. Etwa 50 Personen würden sich jedes Jahr genau aus diesem Grund an die Beratungsstelle wenden. Es seien stets Ausländer oder Leute, die nicht deutsch aussehen. „Beamte haben sich diesen Menschen gegenüber ruppig und arrogant verhalten, manchmal auch aggressiv – und das in der Regel grundlos.“
Alejandro Flores Aguilar aus Guatemala wollte nach dem Diplom seine Doktorarbeit an der Freien Uni schreiben. Inzwischen hat er es sich anders überlegt. Für die Promotion kehrt er im April nach Guatemala zurück. Auf Berlin hat er seit dem 8. Oktober keine große Lust mehr.
„Es war Samstagabend“, erzählt er. Wie so oft ging er mit ein paar Kommilitonen weg, zuerst etwas trinken, dann in die Panorama-Bar nach Friedrichshain. Etwa um fünf Uhr morgens schlief er auf einer Couch ein. Nach ein paar Minuten weckte ihn ein Mann vom Sicherheitspersonal und forderte ihn auf, mit nach draußen zu kommen. Warum, erläuterte er nicht. Einen Moment später standen sie vor der Tür. Als Flores Aguilar noch einmal hineinwollte, um seine Jacke zu holen, die mitsamt dem Schlüssel an der Garderobe hing, wurde ihm der Eintritt verwehrt. Die Türsteher sagten, er solle nach Hause gehen. Nach einer halbstündigen Diskussion rief Flores Aguilar die Polizei. Gegen sechs Uhr trafen drei Beamte ein. „Die waren sofort unglaublich aggressiv und wollten nicht wissen, was passiert ist: dass man mich grundlos aus dem Club geworfen hat und ich deshalb so aufgebracht war“, sagt er.
„Die drei hatten einen sehr aggressiven Ton“, bestätigt auch Norina Böhlhoff, eine Freundin Alejandros, die inzwischen dazugekommen war. Sie seien kein bisschen auf ihn eingegangen, hätten sich vielmehr genervt von ihm gefühlt und ihn mehrmals aufgefordert, das Gelände zu verlassen. Dabei hätten sie ihn regelrecht angeschrien.
Ein Polizist fragte Flores Aguilar, woher er komme. Er antwortete: Aus Guatemala. Darauf erwiderte der Beamte, er solle dorthin zurückgehen. Flores Aguilar erinnert sich, dass einer der drei selbst Ausländer war, wahrscheinlich Türke. „Ich habe ihm gesagt, dass ich solch eine Bemerkung rassistisch finde, und ihn gefragt, wie er das ertragen könne.“ Daraufhin seien sie total wütend geworden, hätten ihm Handschellen angelegt und ihn abgeführt. „Die haben sich benommen wie wütende Hunde. Die haben nur gebrüllt“, sagt er.
Auf der Polizeiwache in der Wedekindstraße wurde eine Blutprobe entnommen. Als er nach einer Dreiviertelstunde fragte, wann er endlich gehen könne, hätten sich die Beamten noch aggressiver als vorher verhalten. „Sie waren zu fünft. Sie packten mich, verdrehten mir die Arme auf dem Rücken und stießen mich mehrmals, so dass ich mit dem Kopf auf den Boden knallte. Ich blutete.“ Er habe nach den Dienstnummern und Namen der Polizisten fragen wollen, jetzt aber zu große Angst gehabt und nichts mehr gesagt. Nachdem die Polizei ihn gehen ließ, fuhr er direkt ins Klinikum Friedrichshain. In der Krankenhaus-Akte sind seine Verletzungen dokumentiert. Dort ist die Rede von einer „ca. 0,5 Zentimeter langen bis 2 Millimeter tiefen Kopfplatzwunde im Bereich der linken Augenbraue mit Schwellung“ sowie von einer „Prellung mit 8 mal 4 Zentimeter großem Hämatom am linken Oberarm“.
Drei Wochen später erhält er von der Polizei eine Vorladung als Beschuldigter. Die Vorwürfe: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung und Hausfriedensbruch. Er ist nicht dorthin gegangen, hat stattdessen einen Anwalt eingeschaltet und „ReachOut“ aufgesucht.
Boris Meckelburg, der Dienststellenleiter des zuständigen Polizeiabschnitts 58, verteidigt das Vorgehen seiner Beamten in dieser Oktobernacht. Von dem Schlüssel, der sich immer noch in der Jacke befand, hätten sie nichts gewusst. „Sonst wären sie sofort in den Club, um diesen herauszuholen“, sagt Meckelburg. Darüber hinaus habe sich Flores Aguilar erheblich gegen die Blutabnahme gewehrt, so dass die Polizisten gezwungen waren, gegen ihn vorzugehen.
Die Schere im Kopf
Biblap Basu arbeitet seit 2001 bei „ReachOut“. Ursprünglich kommt der 56-Jährige aus Indien. Seit Anfang der 80er-Jahre engagiert er sich in Westberlin bei antirassistischen Initiativen und in der Flüchtlingsarbeit. Mehrfach hat er mitbekommen, wie unsensibel und beleidigend sich Polizisten gegenüber Ausländern verhalten können. Er glaubt, dass die Beamten, die jeweils in seine Fälle involviert sind, zu wenig Verständnis für die andere Kultur zeigten. „Man hat oft das Gefühl, als tue sich bei ihnen eine Schere im Kopf auf. Und als stellten sie Nichtdeutsche erst mal unter Generalverdacht. Geredet wird dann hinterher.“
Luís Gomes* aus Mosambik hat ebenfalls diese Erfahrung gemacht. Der 43-Jährige wohnt seit 1988 in Berlin-Lichtenberg. Im Juli fand er in seinem Postkasten zwei Drohbriefe, adressiert an die „Nicht Angemeldeten oder Schmarotzer“. Mit grünem Filzstift stand dort: „Durch euch ist Deutschland so arm geworden. Aber verarschen lassen wir uns nicht.“ Oder: „Wir zeigen euch an. Ihr seid hier nicht gemeldet. Haut ab!“ Der Buchstabe s war gezackt wie im Emblem von Hitlers „Schutzstaffel“. Gleichzeitig war sein Türschloss demoliert und der Rahmen verklebt.
Gomes alarmierte die Polizei. „Ich habe die Beamten unten vor der Haustür getroffen. Die wollten mir anfangs überhaupt nicht glauben, dass ich in dieser Wohnung wohne, und haben mich erst einmal nach dem Mietvertrag gefragt. Ich habe sie nicht gleich verstanden. Ein Polizist brüllte: ‚Sind Sie taub‘? Und fragte dann: ‚Du verstehen?‘“
Gomes zeigte ihnen die Briefe und die demolierte Tür. Er erstattete Anzeige gegen unbekannt. Die Polizisten nahmen die Briefe nicht mit, machten keine Fotos, klingelten lediglich bei einem Nachbarn und fragten, ob der etwas gehört habe. Nach zehn Minuten waren sie wieder weg. Etwa einen Monat später fand er seinen Türrahmen wieder zugeklebt vor, das Schloss war wieder demoliert. Er alarmierte die Polizei erneut. Auch dieses Mal waren die Beamten höchstens zehn Minuten vor Ort. Im Oktober erhielt er einen maschinell erstellten Brief von der Amtsanwaltschaft Berlin. Sein Verfahren sei eingestellt worden, hieß es darin, da die Polizei den Täter nicht ermitteln konnte.
Kurz darauf warfen Unbekannte in der Nacht kleine Steine gegen sein Fenster. Als er das Licht anknipste, hörte er Leute davonrennen. Gomes bekam mehr und mehr Angst in seiner Wohnung. Diesmal wandte er sich nicht an die Polizei, sondern an „ReachOut“. Biplab Basu hakte nach. Gemeinsam mit Gomes fuhr er im November zur zuständigen Polizeidirektion 6. Er fand heraus, dass die Beamten die Drohbriefe in ihrer Anzeige gar nicht dokumentiert hatten. Leiter Michael Knape entschuldigte sich und gab einen Fehler zu. Die Polizei erstattete daraufhin selbst eine Anzeige gegen unbekannt. Dieses Mal fanden die Briefe Erwähnung, die bald danach im Labor untersucht wurden. Die Ermittlungen laufen.
„In Deutschland begegnen mir oft Leute, bei denen ich von vornherein eine gewisse Ablehnung spüre, als wäre diese programmiert“, sagt Gomes, nachdem er seine Geschichte erzählt hat. Warum solle dies bei Polizisten anders sein, fragt er. „Ein Beamter darf keine Vorurteile zeigen, er hat eine öffentliche Aufgabe zu erfüllen. Das ist sein Job“, meint Biblap Basu hierzu. Ein Feuerwehrmann dürfe auch keinen Unterschied machen.
Der Deutschtürke Metin Koșar musste ebenfalls erfahren, wie sehr sich einige Polizisten bei ihrer Arbeit von Herkunft und Hautfarbe beeinflussen lassen. Im Mai 2006 pinkelte vor der voll besetzten Terrasse seines Lokals am Schlachtensee in Zehlendorf ein kahlgeschorener Mann Mitte zwanzig. Koșar ermahnte ihn mehrmals, sofort damit aufzuhören und zu verschwinden. Dieser urinierte weiter, spazierte dabei an der Mauer entlang und warf überdies Koșar und seinen Gästen ausländerfeindliche Parolen an den Kopf – darunter Sprüche wie „Deutschland den Deutschen“ oder „Was hat ein Volk wie ihr hier verloren“. Er war mit einer Gruppe von etwa zehn bis zwölf Menschen unterwegs.
Die Polizei traf kurz darauf ein. „Die Beamten haben mich überhaupt nicht wahrgenommen, sondern gingen zuerst auf die Gruppe der Nazis zu“, erinnert sich Koșar. „Diese versuchten offensichtlich, den Sachverhalt zu verdrehen; denn kurz darauf kamen die Beamten aggressiv auf mich zugestürmt, packten mich und hielten mich rabiat an den Armen fest.“ Sie hätten einfach ignoriert, was er zu sagen habe.
Die Beamten verließen schließlich das Lokal, ohne Koșars Aussage aufgenommen zu haben. Er hat eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht. Das Landeskriminalamt hat mittlerweile ein Ermittlungsverfahren gegen die beteiligten Polizisten wegen Strafvereitelung und Körperverletzung im Amt eingeleitet, darüber hinaus gegen einige der Unruhestifter, und zwar wegen Beleidigung mit fremdenfeindlichem Hintergrund. Die Verfahren laufen.
Biblap Basu glaubt nicht, dass Koșar mit seiner Dienstaufsichtsbeschwerde Erfolg haben wird. „Bei Vorwürfen gegen die Polizei ist die Einstellungspraxis bemerkenswert – vor allem, wenn es sich bei den Klägern um Ausländer handelt“, sagt er. Flores Aguilar beispielsweise hat nicht vor, Anzeige zu erstatten. „Ich könnte doch sowieso nichts ausrichten.“ Er ist sich sicher, dass im Fall eines Prozesses die Richter den Polizisten mehr glauben würden als ihm.
*Name geändert