„Schäuble will ein Passepartout“

Innenminister Schäuble will das Grundgesetz ändern lassen, um die Bundeswehr auch im Inland einsetzen zu können. Den Abschuss von entführten Flugzeugen nimmt er dazu nur als Anlass, kritisiert der Staatsrechtler Martin Hochhuth

taz: Innenminister Schäuble will die Bundeswehr im Inland einsetzen, wenn ein Angriff auf die „Grundlagen des Gemeinwesens“ droht? Was heißt das?

Martin Hochhuth: Das ist eine gefährlich unbestimmte Formulierung, die Schäuble da vorschlägt. Da kann der Staat gemeint sein, die Wasserversorgung, aber auch die Wirtschaftsordnung. Mit dieser Grundgesetzänderung könnte die Regierung die Armee sogar gegen politische Streiks einsetzen.

Es geht doch um Terrorismus – um den Abschuss entführter Verkehrsflugzeuge, die als Waffe missbraucht werden. Oder?

Das sagt Schäuble zwar, in seinem Vorschlag taucht das Wort Terrorismus aber nicht auf. Es geht auch nicht um Angriffe „aus der Luft“, wie in anderen Vorschlägen für eine Grundgesetzänderung. Bei Schäuble ist nur die Rede von „sonstigen Angriffen auf die Grundlagen des Gemeinwesens“. Das ist ein Passepartout, um die Bundeswehr bei verschiedensten Konflikten im Innern einsetzen zu können. Das will Schäuble ja schon lange. Als Staatsbürger lehne ich das entschieden ab. Wenn die Bundeswehr als stärkster Machtapparat im Staat nicht mehr innenpolitisch neutral ist, sondern von der jeweiligen Regierung instrumentalisiert werden kann, dann ist die Demokratie in Gefahr.

Man könnte es ja enger formulieren: „Die Bundeswehr kann bei terroristischen Angriffen aus der Luft eingesetzt werden, wenn die Grundlagen des Gemeinwesens bedroht sind.“ Wäre das besser?

Nein. Das Bundesverfassungsgericht hat im letzten Februar entschieden, dass der Staat nicht die Tötung Unschuldiger legalisieren darf, um anderes Leben zu retten. Dann darf der Staat aber erst recht kein unschuldiges Leben opfern, um abstrakte Gemeinschaftswerte zu schützen. Die Menschenwürde steht in der Wertordnung des Grundgesetzes schließlich ganz oben – nicht der Staat und seine Institutionen.

Halten Sie es grundsätzlich für legitim, den Abschuss von entführten Passagiermaschinen rechtlich zu legitimieren?

Ja. Ich hielt das rot-grüne Luftsicherheitsgesetz für eine vertretbare Lösung. Dass das Verfassungsgericht solche Regelungen grundsätzlich verboten hat, halte ich für eine Fehlentscheidung.

Warum?

Wir haben hier den sehr seltenen Fall, dass es ausnahmsweise zulässig sein muss, Menschenwürde gegen Menschenwürde abzuwägen. Der Staat kann ja nicht einfach die Hände in den Schoß legen, wenn ein entführter Jet auf ein Atomkraftwerk Kurs nimmt. Wenn er nichts tut, dann sind nicht nur die Flugpassagiere tot, sondern auch Tausende bis Hunderttausende weitere unschuldige Menschen. Zumindest deren Menschenwürde muss der Staat schützen.

Die Verfassungsrichter gehen doch davon aus, dass in so einem Fall ein Flugzeug auch ohne gesetzliche Erlaubnis abgeschossen wird …

Das ist ja das Bigotte an dem Urteil. Das Verfassungsgericht hat die Augen vor dem Konflikt geschlossen, dann aber gezwinkert und auf den entschuldigenden Notstand des Strafrechts verwiesen. Das Urteil stellt insofern kein Abschussverbot auf. Sondern nur ein Verbot an den Staat, den Abschuss zu regeln.

Sie haben also Verständnis, für Schäubles Versuch, doch noch eine legale Absicherung für den Verteidigungsminister zu finden, wenn er im Extremfall den Abschuss eines entführten Jets anordnet?

Nein. Auch bigotte Urteile des Bundesverfassungsgerichts sind verbindlich. Wenn Schäuble nun neue Notstandsfälle einführen will, um das Urteil zu umgehen, dann sind das Tricksereien, die Karlsruhe letztlich nicht akzeptieren wird.

Was löst man das Dilemma?

Ich halte Schäubles Grundgesetzänderung für überflüssig.

Weil Sie terroristische Angriffe ohnehin als Verteidigungsfall einstufen – so wie dies der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz tut?

Diese Position halte ich für richtig, wenn das entführte Flugzeug aus dem Ausland kommt: Dann ist das ein kriegerischer Zwischenfall, bei dem die Bundeswehr zur Verteidigung eingesetzt werden kann. Das hilft aber nicht weiter, wenn das Flugzeug in Frankfurt startet und dann von Terroristen unter Kontrolle gebracht wird.

Was also schlagen Sie vor?

Darf ich zweistufig antworten? Wenn ein Abschuss zur Rettung völlig Unbeteiligter wirklich unabdingbar ist, dann muss er strafrechtlich als Notstand gerechtfertigt sein. Allerdings muss es zu einem solchen Abschuss gar nicht kommen. Denn es genügt, wenn Abfangjäger das entführte Flugzeug abdrängen. Wenn es sich nicht abdrängen lässt, weil inzwischen ein Selbstmordattentäter am Steuer sitzt, dann stürzt der Jet zwar auch ab. Aber das ist eben kein staatlicher Abschuss, sondern die Schuld des verbrecherischen Piloten.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH