„Erz-Kapo“ tritt zurück

Erst im letzten Moment zieht Stanisław Wielgus die Konsequenzen aus der Geheimdienstaffäre

AUS WARSCHAU GABRIELE LESSER

„Bleib bei uns“, riefen zumeist ältere Menschen und reckten die Hand mit dem berühmten V-Siegeszeichen-Zeichen. „Non possumus“, hielten jüngere dagegen und erinnerten damit an die berühmte Weigerung Primas Wyszyńskis in den 50er-Jahren, mit der kommunistischen Partei Polens zusammenzuarbeiten. Wyszyński wurde danach verhaftet und jahrelang interniert. Bis heute wird er in Polen als nationaler Held und „Primas des Jahrtausends“ verehrt.

Noch Stunden vor der für elf Uhr angesetzten Messe hatte es so ausgesehen, als würde Stanislaw Wiełgus trotz des Spitzelskandals feierlich in sein Amt eingeführt. Doch gegen zehn Uhr verkündete der apostolische Nuntius Józef Kowalczyk, dass Papst Benedikt XVI. den Rücktritt Erzbischofs Wielgus’ angenommen habe. Statt der feierlichen Amtseinführung gab es einen Sühnegottesdienst, in dem Primas Józef Glemp versuchte, Verständnis für das Verhalten seines Mitbruders zu wecken: Auch der Apostel Petrus sei nicht ohne Fehler gewesen und habe Jesus verleugnet, dennoch sei ihm die Führung der Kirche anvertraut worden.

Die ersten Vorwürfe gegen Wielgus waren schon Mitte Dezember 2006 aufgetaucht, kurz nachdem Papst Benedikt XVI. den Bischof von Płock zum Nachfolger von Józef Glemp, dem Erzbischof von Warschau und Primas von Polen, designiert hatte. Der Geistliche habe über 20 Jahre lang mit dem polnischen Sicherheitsdienst zusammengearbeitet, hieß es. Als Wielgus dies vehement bestritt, verteidigten ihn Mitbrüder und Bischöfe. Immerhin hatte es in Polen schon öfter Geheimdienstvorwürfe gegen Prominente gegeben, die sich später als unhaltbar herausstellten. Dieser „wilden Durchleuchtung“ durch selbst ernannte Moralhüter wäre Ende letzten Jahres auch fast die Finanzministerin Zyta Gilowska zum Opfer gefallen. So stellte sich auch der Vatikan hinter den Bischof.

Doch dann tauchten Dokumente auf. Das Institut des nationalen Gedenkens (IPN), das wie die Birthler-Behörde in Deutschland die Geheimdienstakten aufbewahrt, gab bekannt, in seinem Archiv gebe es tatsächlich einen Vorgang. Wielgus habe die Pseudonyme „Adam“, „Adam Wysocki“ und „Grey“ benutzt. Erst jetzt schickten das Episkopat und der Ombudsmann Polens zwei Kommissionen ins IPN-Archiv, um die Vorwürfe zu überprüfen.

Wielgus beteuerte weiterhin seine Unschuld. Als beide Kommissionen die Vorwürfe bestätigten und die Mehrheit der Gläubigen sich gegen einen Geheimdienstspitzel als künftigen Erzbischof von Warschau aussprach, verstummte Wielgus plötzlich. Die offizielle Ernennung rückte immer näher. Angeblich, so hieß es in der polnischen Presse, konnte der Vatikan die Notbremse nicht ziehen. Nach kanonischem Recht könne nur Wielgus selbst den einmal eingeleiteten Ernennungsprozess stoppen. Der Bischof aber schwieg eisern. Vor seiner Ernennung zum Erzbischof beteuerte er am Freitag abermals seine Unschuld. „Er lügt. Wie kann er angesichts der erdrückenden Aktenlage noch lügen?“, fragten polnische Fernsehmoderatoren andere Bischöfe. Die wussten sich auch keinen Rat und zuckten hilflos mit den Schultern. Erst Stunden nach der Ernennung bekannte sich Wielgus schuldig und empfahl sich als Büßer der „Barmherzigkeit“ der Gläubigen (siehe Dokumentation). Doch die Reue kam zu spät: Am Samstag machten alle Zeitungen mit der Lügengeschichte auf. Das Boulevardblatt Fakt zeigte den Erzbischof vor dem Hintergrund seines Verpflichtungserklärung und titelte knallrot: „Erz-Kapo“.