EU will mehr Macht über Stromnetze

Morgen will Kommissionspräsident Barroso revolutionäre Schritte für mehr Wettbewerb und besseren Klimaschutz vorstellen. Die Enteignung der großen Konzerne könnte ein Mittel sein. Doch Deutschland und Frankreich wollen nicht mitmachen

VON NICK REIMER

Europa steht vor einer Revolution – angezettelt von der EU. Kommissionspräsident José Manuel Barroso wird morgen einen Energie-Aktionsplan vorstellen, durch den die bislang national orientierten Energieversorgungssysteme in EU-Hände gelangen soll. Konzerne wie Eon, RWE und Co. sind deshalb schon heute auf den Barrikaden.

Das Brisanteste am Vorschlag Barrosos findet sich auf Seite acht des „vertraulich“ gestempelten Papiers: Eon, RWE und Co. sollen die Macht über ihre milliardenschweren Strom- und Gasnetze verlieren. Wenn ein Konzern gleichzeitig Strom oder Wärme produziert und transportiert, bestehe die Gefahr von „Missbrauch und Diskriminierung“ netzloser Konkurrenten.

Das Papier zeigt zwei Wege, wie die Revolution zu bewerkstelligen ist. Erstere: Die Konzerne bleiben zwar Netzeigentümer, verlieren aber die Verfügungsmacht an einen „unabhängigen Operator“ – quasi eine Staatsaufgabe. Zweite Möglichkeit: Die Konzerne werden zerschlagen, indem sie ihre Netze verkaufen müssen. Ein Verfahren, dass nicht unwahrscheinlich ist: In 12 der 27 EU-Staaten gilt bereits die Trennung von Netz und Produzent.

Der Vorstoß der EU-Kommission hat zwei Gründe. Vordergründig wollen die Kommissare mit mehr Wettbewerb niedrigere Preise erzwingen. Hintergründig geht es Brüssel um Klimaschutz: 30 Prozent Kohlendioxid soll Europa in 15 Jahren weniger produzieren als 1990. Das geht nur mit drastischen Einschnitten ins Wirtschaftsleben: Acht Prozent Reduktion hat die alte EU der Kioto-Gemeinde versprochenen, in 15 Jahren Klimaschutz aber noch nicht mal 1 Prozent geschafft. Für die 7 fehlenden Prozente bleiben nur noch fünf Jahre Zeit.

Der vertrauliche EU-Entwurf von Anfang Januar, der der taz vorliegt, wurde gestern in Brüssel auf Beamtenebene heftig diskutiert. Dabei scheint sich „Klimakanzlerin“ Angela Merkel genauso auf die Barrikade der Stromkonzerne zu schlagen wie die französische Regierung. Nicht ohne Brüssel zu beeindrucken: Anders als in früheren Entwürfen scheint die Zerschlagung nicht mehr als die bessere Variante gelten – und das, obwohl diese von Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes bevorzugt wird. Die Unterhändler feilschen noch bis morgen um Worte. Eine Formulierung, wonach die Zerschlagung „unter Wettbewerbsaspekten“ besser wäre, stand gestern im Raum. Was nichts anderes bedeutet, als das sie aus anderen Gründen dann doch nicht kommt.

Bei den Diskussionen auf EU-Beamtenebene stand gestern auch das 30-Prozent-Klimaziel auf der Kippe: Unter den beteiligte Generaldirektionen galt gestern nur eine angestrebte Einsparung von 20 Prozent als konsensfähig.

„Kommissionschef Barroso darf nicht vor den Energiebossen einknicken“, fordert der energiepolitischer Sprecher der Links-Fraktion, Hans-Kurt Hill. Würden den Konzernen die Verfügungsgewalt über die Netze nicht entzogen, seien wirksame Klimaschutzinstrumente nicht umsetzbar. Der grüne EU-Abgeordnete Claude Turmes warnte die Kommission „vor einem Kniefall vor der Bundesregierung: Eine CO2-Einsparung von 30 Prozent ist der einzige Weg, den Temperaturanstieg auf verträgliche zwei Grad zu begrenzen.“

Am Sonntag hatte auch der SPD-Parteivorstand beschlossen, der Klima- und Energiepolitik künftig Priorität einräumen zu wollen. SPD-Umweltminister Sigmar Gabriel stritt sich aber gestern gleich wieder mit der EU-Kommission. Noch immer geht es um die Menge an Kohlendioxid, die die deutschen Unternehmen ab 2008 in Luft blasen dürfen. Gabriel hatte als Kompromiss 465 Millionen Tonnen pro Jahr angeboten. Doch Umweltkommissar Stavros Dimas bleibt hart. 453 Millionen Tonnen, mehr erlaubt er nicht.