: „Mehr Lehrer aus Zuwandererfamilien“
10 Prozent der Lehramtsreferendare sollen einen Migrationshintergrund haben, fordert Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde. „Bildungsbotschafter“ und Fernsehspots sollen türkische Eltern zu Engagement in der Schule motivieren
INTERVIEW CIGDEM AKYOL
taz: Herr Kolat, 2005 haben rund 22 Prozent der türkischstämmigen Jugendlichen die Schule ohne Abschluss verlassen, bei Kindern aus Deutschland waren es 10 Prozent. Provokant gefragt: Sind türkische Kinder dümmer?
Kenan Kolat: Natürlich nicht, das Gegenteil ist eher der Fall. Statistisch betrachtet, sind türkische Kinder aus bildungsfernen Familien besser als deutsche Schüler aus bildungsfernen Familien.
Dennoch gibt es diese Zahlen.
Selbstverständlich ist es nicht schön, wenn so viele Kinder keinen Schulabschluss machen. Aber die Diskussion wird zu negativ geführt. 1980 verließ noch jeder zweite türkische Jugendlich die Schule ohne Abschluss. Es wird also nicht schlechter. Das Gegenteil ist der Fall: Es geht aufwärts.
Kritiker befürchten, dass der Unterricht schlechter wird, wenn der Anteil von nichtdeutschen Schülern groß ist. Müssen sich deutsche Eltern um die Bildung ihrer Kinder sorgen?
Natürlich macht es eine angespannte Situation im Klassenzimmer nicht leichter, wenn es Sprachprobleme gibt. Aber auch deutsche Schüler haben Sprachschwierigkeiten. Entscheidend ist nicht der Anteil der Migranten, die soziale Herkunft des Einzelnen ist ausschlaggebend. Je mehr Kinder aus bildungsfernen Familien in einer Klasse gemeinsam pauken, desto schwieriger wird die Situation natürlich.
Sie und die Türkische Gemeinde initiieren die Kampagne „Zukunft für Bildung“. Worum geht es dabei?
Wir verfolgen ein großes Ziel: In den nächsten fünf Jahren soll die Zahl türkischstämmiger Schüler ohne Abschluss halbiert werden und die Zahl der Abiturienten steigen. In Elternakademien möchten wir die Eltern erreichen und ihnen das deutsche Bildungssystem erklären. Ähnlich wie die Quartiersmanager in Berlin sollen unsere Botschafter in die Gemeinden gehen und die Menschen motivieren. Bisher sind 33 Bildungsbotschafter bundesweit unterwegs, am Ende des Jahres sollen es 100 sein. Die Tageszeitungen Hürriyet und Milliyet werden für unsere Aktion werben. Auch Sendungen im türkischen Fernsehen sind geplant.
Bildungsbotschafter für Eltern und Kinder? Welche Botschaft soll denn vermittelt werden?
Die türkischen Eltern sollen wissen, dass sie sich aktiver in den Schulalltag ihrer Kinder einbringen müssen. Die Familien sollen regelmäßiger an den Elternabenden teilnehmen und stärker als Elternvertreter mitwirken. Sie müssen verstehen, dass Bildung der Schlüssel zu einer gelungenen Integration ist.
Kommen nur Menschen aus türkischen Familien als „Botschafter“ in Frage?
Es gibt keine Einschränkungen. Aber Deutsche würden wir gerne als Bildungspaten einsetzen. Die sollen weniger die Eltern, sondern stärker die Kinder unterstützen.
Nur ein Prozent der rund 740.000 Lehrer in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Bei den Lehramtsstudenten liegt der Anteil bei 2 Prozent. Warum ist die Anzahl so gering?
Vielleicht ist den jungen Migranten nicht bewusst, wie wichtig dieser Beruf ist, um die nachfolgende Generation aus dem eigenen Kulturkreis zu stärken. Dabei werden sie dringend gebraucht – als Rollenvorbilder, Übersetzer und Vertraute. Wir hoffen, dass wir die Jugendlichen auch dazu motivieren können, sich für diesen Beruf zu entscheiden.
Stichwort Eltern: Wie sieht es mit deren Verantwortung aus? Wenn ein türkisches Kind ohne Deutschkenntnisse in die Schule kommt, können die Lehrer ja nicht daran schuld sein. Unterstützen türkische Eltern ihre Kinder zu wenig?
Von dieser leidigen Diskussion sollte die Gesellschaft endlich Abstand nehmen. Ich kenne keine einzige türkische Familie, der die Erziehung ihrer Kinder gleichgültig wäre. Viele scheitern an der Sprache. Deswegen entsteht häufig der falsche Eindruck der Gleichgültigkeit.
Dass es nötig ist, mehr Lehrer mit Migrationshintergrund einzustellen, steht wohl außer Frage. Doch haben Anwärter ohne einen deutschen Pass keine Chance. Muss das Lehrerbildungsgesetz geändert werden?
Die deutsche Staatsbürgerschaft sollte nicht zwingend notwendig sei. Andere Eigenschaften und Kompetenzen sind schließlich wichtiger im Umgang mit Schülern. Wir brauchen eine Quotenregelung in Deutschland: 10 Prozent der Referendare sollten aus Zuwandererfamilien stammen.