Ein später Sieg der historischen Wahrheit

GESCHICHTSBILD Die neue Ausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand würdigt Männer und Frauen unabhängig von den Kriterien der Nachkriegszeit. Nach Jahrzehnten der Verzerrung zeigt sie ein angemessenes Bild derer, die Hitlers Herrschaft nicht akzeptierten

„Wir ehren alle Männer und Frauen, die Zeichen gegen Terror gesetzt haben“

ANGELA MERKEL

VON KLAUS HILLENBRAND

Wer zu Claus Schenk Graf von Stauffenberg will, kommt an Georg Elser nicht vorbei. Der Raum, der dem einfachen Tischler gewidmet ist, der ganz auf sich allein gestellt Adolf Hitler töten wollte, ist der Erinnerung an die Attentäter von 20. Juli vorgelagert. Wer bei Elser verweilt, dessen Bombe am 8. November 1938 im Münchner Bürgerbräukeller der „Führer“ nur durch einen Zufall entkam, sieht von Weitem schon den Chef des Stabes im Heeresamt, der im „Führerhauptquartier Wolfsschanze“ am 20. Juli 1944 eine Bombe platzierte, um Hitler in die Luft zu jagen. Auch dieses Attentat misslang bekanntlich. Doch nach dem Krieg erinnerte man sich in der jungen Bundesrepublik höchst unterschiedlich an die Taten von Stauffenberg und Elser: Der eine, ein treuer KPD-Wähler und zeitweise Mitglied im Rotfrontkämpferbund, fiel dem Vergessen anheim. Der andere, Offizier und anfangs ein Anhänger des NS-Regimes, wurde zur Ikone des Widerstands.

Nun aber, in der neuen Dauerausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, haben nicht nur diese beiden ihren Frieden miteinander gemacht. In der Schau in den historischen Räumen der Heeresleitung der Wehrmacht lässt sich die gesamte Bandbreite des Widerstands besichtigen. In den kühlen, klaren Räumen erinnert man der Kämpfer der Roten Kapelle ebenso wie der des christlich geprägten Kreisauer Kreises. Es finden sich dort Stationen über das Exil, die jugendlichen Edelweißpiraten, von kommunistisch gesinnten Juden wie Herbert Baum oder vom Aufstand der Sinti und Roma im Vernichtungslager Auschwitz. Wir sehen Flugblätter der kleinen „Gemeinschaft für Frieden und Aufbau“, deren Mitglieder den Krieg beenden wollten, ebenso wie die Tarnschriften der Arbeiterbewegung in den 1930er Jahren, die vor einer bevorstehenden Völkerschlacht warnten.

Sie wurden Opfer

70 Jahre nach der Niederschlagung des Aufstands vom 20. Juli 1944 geht es – das macht diese Ausstellung deutlich – nicht länger darum, „guten“ von weniger gutem Widerstand zu unterscheiden. Es hat historisch keinen Sinn, nur das Aufbegehren von Demokraten zu rezipieren, zumal eine Ausstellung in diesem Fall ausgesprochen klein ausfallen würde. Selbstverständlich waren die Frauen und Männer des 20. Juli nicht alle gute Demokraten, ja, manche unter ihnen standen antisemitischen Vorurteilen nahe. Natürlich schwebte nicht allen ins Exil Getriebenen eine künftige parlamentarische Republik vor, und ebenso wenig lässt sich verschweigen, dass viele Linke in Joseph Stalins Sowjetunion ein leuchtendes Vorbild sahen. Doch diese unterschiedlichen politischen Konzeptionen zum Maßstab für eine Skala der Würdigung zu machen hieße, diese Menschen nach den Kriterien der Nachkriegszeit zu würdigen oder eben nicht zu würdigen. Die Widerständler selbst aber hatten häufig nicht die Chance, ihre Zukunftskonzeptionen zu überdenken. Denn sie wurden Opfer der Nazis, ganz gleich, ob sie Konservative, Militärs, Christen, Sozialdemokraten, Juden oder Kommunisten waren.

Vor allem waren es Menschen mit Mut. Das dazugehörende Zitat steht ganz zu Beginn der Ausstellung und stammt von Constanze Hallgarten vom Weltfriedensbund, die 1933 ins Exil flüchten musste: „Wie viel gefahrloser lässt sich leben, wenn man in der Herde mitläuft und sich gedankenlos alter Tradition einordnet, anstatt für seine Überzeugung gegen den Strom zu schwimmen und als ‚Ausgestoßener‘ alle Konsequenzen zu tragen.“

Die stark biografisch ausgerichtete Ausstellung stelle vor allem unter Beweis, dass es im Nationalsozialismus durchaus Handlungsoptionen gab, erklärt deren Leiter Johannes Tuchel. Die Geschichte von den Deutschen, die sich nicht wehren konnten, weil dies nicht möglich gewesen sei, wird als das entlarvt, was sie schon immer war: eine gern kolportierte Legende, die dazu diente, das eigene individuelle Versagen zu verschleiern. Kein Wunder, dass man diese Tatsache über Jahrzehnte in der Bundesrepublik nicht hören wollte. Zumal der kleine, alltägliche Widerstand keineswegs immer gleich mit dem Tode bedroht war.

Jahrzehnte der Klitterung

Mit dieser Ausstellung hat die Rezeption der Widerstandsgeschichte einen vorläufigen Schlusspunkt gefunden, oder anders gesagt: Die Wahrheit hat nach Jahrzehnten der Geschichtsklitterung, der offenen und verdeckten Einflussnahme von Politikern, Kirchenvertretern, ehemaligen Offizieren und, ja das auch, von Widerstandskämpfern und deren Angehörigen gesiegt. Es ist ein verdammt später Sieg, der wohl nur möglich wurde, weil die Tätergeneration nicht mehr unter den Lebenden weilt. Aber es ist doch ein historischer Sieg.

Denn die Aufbereitung des Widerstands im Nachkriegsdeutschland ist längst selbst zu Geschichte geworden, und diese verlief nicht gerade glänzend. Widerstand, das galt vielen Deutschen unmittelbar nach dem Krieg als Verrat, und Hitlers Satz, der die Attentäter des 20. Juli als „eine kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich verbrecherisch dummer Offiziere“ charakterisierte, galt vielen noch lange Zeit als richtig. Die Witwen der ermordeten Verschwörer mussten in den 1950er Jahren auf ihre Pension verzichten, während die Gattin des durch Einwirkung einer alliierten Bombe dahingeschiedenen Präsidenten des Volksgerichtshofs, Roland Freisler, selbstverständlich monatlich mit einem schönen Geldbetrag bedacht wurde.

1954 äußerten sich 54 Prozent der ehemaligen Wehrmachtsoldaten in einer Umfrage negativ über die Attentäter des 20. Juli 1944, und nahezu 40 Prozent der Westdeutschen lehnten es ab, Emigranten nach ihrer Rückkehr ein hohes Regierungsamt zu übertragen. Da stand das Mahnmal für die Verschwörer gerade einmal zwei Jahre im Hof des Bendlerblocks. An eine Ausstellung über den Widerstand, gar über eine jenseits von Stauffenberg, war nicht zu denken.

Noch 1987 versuchte Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) mit einem bestellten Gutachten die damalige Neukonzeption der Ausstellung im Bendlerblock, die erstmals auch kommunistischen Widerstand berücksichtigte, zu torpedieren. Kohl kritisierte „eine Fülle erschreckender Mängel“, ohne die Ausstellung überhaupt gesehen zu haben. Die CDU-Politikerin Hanna-Renate Laurien behauptete im Spiegel, der „christdemokratische Widerstand“ komme „zu wenig zur Geltung“ – als ob es den vor 1945 gegeben hätte – und beschwerte sich über das Großfoto in der Schau, das einen katholischen Bischof zeigte, der die Hand zum „Hitler-Gruß“ erhoben hatte.

Bloß keine Kommunisten

Aber auch Verwandte der Widerständler des 20. Juli wie die von Franz Ludwig Schenk Graf von Stauffenberg verlangten, dass Kommunisten in der Ausstellung nichts zu suchen hätten. Franz Josef Strauß (CSU) beschwerte sich 1988 über eine „Verunglimpfung der Opfer des Nationalsozialismus“ in der Berliner Schau. Heute aber, sagt Gedenkstättenleiter Johannes Tuchel, habe es nicht einen einzigen Versuch gegeben, von außen auf die Neukonzeption der Ausstellung Einfluss zu nehmen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) würdigte am Dienstag zur Eröffnung auch diejenigen NS-Gegner, die nicht dem 20. Juli entstammten, und nannte dabei die Rote Kapelle, den Kreisauer Kreis, die Weiße Rose und die „stillen Helden“, jene Menschen also, die als Einzelne verfolgten Juden beistanden und sie vor der drohenden Deportation verbargen. „Wir ehren alle Männer und Frauen, die auf ihre Weise Zeichen gegen Terror, Verfolgung, Erniedrigung und Gewalt gesetzt haben“, sagte Merkel. Kein Wort über den Widerstand der Linken kam ihr über die Lippen, aber auch kein Wort der Kritik an der neuen Ausstellung.

120.000 Menschen haben im Jahr 2012 die alte Dauerausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin besucht, eine nicht zu unterschätzende Zahl. Die künftigen Besucher erwartet nicht nur eine angemessene Würdigung derjenigen, die nicht dazu bereit waren, Hitlers Regime zu akzeptieren. Sie stoßen auch auf eine didaktisch und pädagogisch grundlegend modernisierte Schau, wo sie an großen Bildschirmen selbst Einzelheiten über Biografien und Handlungen nachvollziehen können. Sie können sich darauf einlassen, mehr über diese Menschen zu erfahren. Und sie sollten nicht enttäuscht sein, dass dies kein Platz für simple Heldenverehrung ist. Sondern ein Ort zum Nachdenken.

■ Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Stauffenbergstraße 13–14, 10785 Berlin. Die Ausstellung ist Montag bis Mittwoch und Freitag 9–18 Uhr, Donnerstag 9–20 Uhr geöffnet, Samstag und Sonntag 10–18 Uhr. Eintritt frei