Der Regierungschef sagt „Sayonara“ zum Pazifismus

JAPAN Nationalist Shinzo Abe interpretiert die letzten friedfertigen Inhalte der Verfassung weg

AUS TOKIO MARTIN FRITZ

Ungeachtet der Demonstrationen und einer ablehnenden öffentlichen Meinung hat sich Japans nationalkonservative Regierung in einem historischen Beschluss vom Pazifismus der Nachkriegszeit verabschiedet. Das Kabinett von Premierminister Shinzo Abe räumte durch eine neue Interpretation der Verfassung Japan erstmals das Recht auf kollektive Selbstverteidigung ein.

Das bedeutet, dass „Selbstverteidigungsstreitkräfte“ den einzigen Sicherheitspartner USA mit militärischen Mitteln unterstützen dürfen. Zudem wird die Teilnahme an UN-Friedenseinsätzen möglich. Der Sicherheitsexperte Narushige Michishita von der Denkfabrik Grips sprach von einer fundamentalen Politikänderung und einem großen symbolischen Schritt. Nach dem bisherigen Verständnis dürfen die Streitkräfte nur bei einem Angriff auf Japan aktiv werden.

In Artikel 9 der Nachkriegsverfassung verzichtet Japan auf das Recht der Kriegsführung sowie auf den Einsatz oder die Androhung militärischer Gewalt. Nach dem verlorenen Weltkrieg hatten die Siegermacht USA Japan diese Verfassung aufgezwungen, aber schon bald die Gründung einer Armee erlaubt. Durch die neue Auslegung wird Japan zum vollwertigen Sicherheitspartner der USA und wertet seine Rolle in der globalen Sicherheitspolitik auf.

Dabei geht es Abe auch darum, gemeinsam mit den USA dem Hegemoniestreben Chinas Einhalt zu gebieten. Auch die Abwehr nordkoreanischer Raketen zählt zu den möglichen Szenarien. Daher wird Abes Vorgehen von Washington unterstützt.

Ein Sprecher des Außenministeriums in Peking verlangte, Japan solle die Bedenken seiner Nachbarn berücksichtigen. China und Südkorea sehen die neue Militärpolitik im Licht von Japans imperialistischer Vergangenheit kritisch. Doch Abe betonte in Tokio, Japans Status als friedliches Land werde sich durch den Beschluss nicht ändern.

Aktuellen Umfragen zufolge ist auch die Mehrheit der Japaner mit der Abkehr vom Pazifismus nicht einverstanden. Tausende demonstrierten in den vergangenen Tagen gegen die Pläne. Auch die liberale Presse reagierte empört. Die Grenzen der Militärgewalt seien so vage formuliert, dass sie vielfältige japanische Militäroperationen erlaubten, kritisierte die Zeitung Japan Times. Der US-Verfassungsjurist Craig Martin sieht den Rechtsstaat in Gefahr: „Diese neue Auslegung ist völlig illegitim und bedroht Japans Demokratie“, erklärte der Experte. Befürworter sehen dagegen eine Normalisierung: „Japan kann nun das tun, was jeder anderen Nation nach der UN-Charta erlaubt ist“, sagte der ehemalige Diplomat Kunihiko Miyake.

Als nächsten Schritt muss das Parlament einige Gesetze ändern, sodass der Kabinettsbeschluss noch abgemildert werden könnte.