: Heute in Frankfurt: Zinsorakeln mit der EZB
GELDPOLITIK Stoppt die Europäischen Zentralbank ihre Niedrigzinspolitik? Ja, glauben die Märkte
BERLIN taz | Noch rechnet kaum jemand damit, dass die Europäische Zentralbank (EZB) auf ihrer heutigen Sitzung den Leitzins für die Eurozone erhöht. Doch für viele Beobachter lautet die Frage nicht mehr, ob die Währungshüter in Frankfurt eine Kehrtwende machen, sondern wann.
Seit Ausbruch der globalen Finanzkrise hatte die EZB eine Politik der Minizinsen verfolgt. Unbegrenzt stellte die EZB den Banken zum Billigtarif von nur einem Prozent Liquidität zur Verfügung, um ihren Kollaps zu verhindern. Überdies kaufte sie den überschuldeten europäischen Krisenländern Staatsanleihen ab, um sie vor einer Insolvenz zu bewahren, und pumpte so weiteres Geld in die Wirtschaft.
Jetzt aber wächst die Kritik an der Politik der EZB. Zu sehr habe sie sich in der Krise in die Wirtschaftspolitik eingemischt, moniert zum Beispiel der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer. Zu wenig habe sie ihren eigentlichen Auftrag verfolgt, nämlich für Preisstabilität zu sorgen. Im Januar ist nach Schätzungen die Inflation in der Eurozone auf 2,4 Prozent gestiegen – unter anderem aufgrund stark gestiegener Rohstoffpreise – und hat damit den höchsten Stand seit mehr als zwei Jahren. Um ihr Ziel zu erreichen, eine Inflation unter zwei Prozent, müsste die Zentralbank die Zinsen erhöhen, also Geld verknappen.
Die Spekulationen über eine Zinserhöhung hatte EZB-Präsident Jean-Claude Trichet selbst angeheizt. Nach der Zentralbankratssitzung im Januar erklärte er, die steigende Inflation bedürfe „sehr genauer Beobachtung“. Das war von Investoren und Spekulanten als ein deutlicher Fingerzeig interpretiert worden. Auf den Devisenmärkten zieht der Kurs des Euro jedenfalls schon an, weil dort mit einer baldigen Zinserhöhung gerechnet wird. „Zinsfantasie“ heißt das auf Börsendeutsch. Soll heißen, Anlagen in Euro würden attraktiver. Die steigende Nachfrage nach Euro würde dann deren Kurs nach oben treiben. Inzwischen erreichte die zeitweilig wegen der Eurokrise schwächelnde Währung mit einem Wechselkurs von fast 1,38 Dollar wieder den Stand von November 2010.
Doch solange keine Lösung für die europäische Schuldenkrise gefunden wird, ist eine Zinserhöhung keine ausgemachte Sache. Die wirtschaftlich gut dastehenden Euromitglieder wie Deutschland könnten höhere Kreditkosten zwar leicht wegstecken. Doch in den Krisenstaaten könnte eine Zinserhöhung die Konjunktur gefährden und die Finanzierungskosten der überschuldeten Länder erhöhen. Die Krise könnte so in die nächste Runde gehen. NICOLA LIEBERT