: ABC-Kampfstoffen auf der Spur
AUS HERZOGENRATH LUTZ DEBUS
Keine biologische Katastrophe weit und breit, kein Gotteskrieger mit schmutziger Bombe, keine atombestückte nordkoreanische Rakete, kein russischer Spion. Dennoch bewegt sich der Feuerwehrmann in seinem hellgrünen Schutzanzug mit bedächtigen Schritten vorwärts, die Pressluftflasche auf dem Rücken, den Geigerzähler in der Hand. Er sucht nach einer Strahlenquelle. Hinter ihm steht ein rotes Fahrzeug. „ABC-Messtechnik“ prangt in großen Lettern auf der Längsseite des Kleintransporters.
ABC-Übung in Herzogenrath, einem Städtchen nördlich von Aachen. Der Erkundungskraftwagen steht auf dem Hof der Feuerwache. „Die komplizierte technische Ausstattung des Fahrzeugs erfordert eine intensive Schulung der Feuerwehrleute“, sagt Marlis Cremer, Leiterin des Amtes für Rettungswesen und Katastrophenschutz des Kreises Aachen, die bei der Übung an diesem sonnigen Wintertag in Herzogenrath zugegen ist.
Im Oktober 2001 stellte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) den Bundesländern 371 dieser Fahrzeuge zur Verfügung. Die Auslieferung der Autos war zwar schon länger geplant, ließ sich allerdings nach dem 11. September publikumswirksam als schnelle Reaktion auf die Terroranschläge von New York und Washington verkaufen. Die Bundesländer wiederum verteilten diese Geschenke an die örtlichen Feuerwehren. In etwa jedem Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt gibt es inzwischen so einen Erkunder. Das für die Fahrzeuge zuständige Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in Bonn verweist aber gern auf das Örtchen Merkstein, nördlicher Zipfel der Stadt Herzogenrath. „Im Kreis Aachen“, so Ursula Fuchs vom BBK, „ist man sehr engagiert in der Einbindung des ABC-Erkundungskraftwagens in die Gefahrenabwehr.“
Dies ist besonders einem Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Herzogenrath zu verdanken. Hartmut Prast ist Ingenieur und arbeitet im Forschungszentrum Jülich. Bis 1990 nannte sich das Forschungszentrum Kernforschungszentrum. Seinen Beruf hat der Chemiker quasi auch zu seinem Hobby gemacht. In seiner Freizeit ist der 52-jährige der technische Betreuer des ABC- Erkundungskraftwagens.
Im Katastrophenfall wäre er nicht Teil der Besatzung des Erkunders, erklärt Prast. Er würde die durchgegebenen Daten auswerten und dann Empfehlungen für die Einsatzleitung formulieren. Jetzt aber sitzt er hinten im Transporter an Computerbildschirm. Mit ein paar Mausklicken aktiviert er die verschiedenen Analysegeräte. „Das radiologische Messsystem erfasst Gamma-Strahlung als Dosis und Dosisleistung, ermöglicht die Unterscheidung zwischen künstlicher und natürlicher radioaktiver Strahlung, die Suche von Punktquellen und die Darstellung der gemessenen Kontamination auf einer geographischen Karte“, doziert der Fachmann. Auf dem Monitor erscheint der Wert von 38 Nanosievert. „Eine ganz normale Dosis“, erklärt Prast. In der Bank von Chicago mit ihrer mächtigen Granitvertäfelung würden bis zu 230 Nanosievert gemessen.
Dann zeigt Prast die Möglichkeiten, chemische Substanzen zu erkennen. Dazu lässt er die Luft über dem Erkunder analysieren. „Alle Moleküle, die mehr als nur ein Elektronenvolt haben, werden hier gnadenlos ionisiert.“ Die Stimme von Hartmut Prast klingt stolz und auch etwas geheimnisvoll. Dann versucht sich der Chemiker an einer auch für Laien verständlichen Erklärung, wie sein Analysegerät funktioniert. „Viele Menschen machen eine Paddeltour. Darunter sind Colatrinker, Biertrinker, Weintrinker und Korntrinker. Sie brauchen am Ufer nur ein Gerät an den entsprechenden Stellen zu platzieren und sie wissen, welcher Bootsfahrer gerade vorbei kommt.“ Auf diese Weise könne man sowohl Nervenkampfstoffe wie Tabun, Sarin, Soman und VX wie auch Industriechemikalien wie Blausäure, Chlor und Salzsäure nachweisen. Im Moment ist die Luft in Merkstein rein. Würde aber einer der Kameraden in der Nähe des Wagens eine Zigarette rauchen, so könne man die 200 Substanzen, die er inhaliert, durchaus erkennen.
Durch ein kleines Fenster kann man vom Kontrollraum des ABC-Erkunders in die Fahrerkabine sehen. Dort sitzt Thomas Hendriks hinter dem Steuer. In der Praxis habe sich, so der drahtige Feuerwehrmann, das Fahrzeug schon bewährt. Einmal brannte eine Lederfabrik, ein anderes Mal lag ein LKW quer auf der Autobahn. Der Lastwagen hatte palettenweise Säuren, Reinigungs- und Lösemittel geladen. Bei einem anderen Einsatz sollte sogar die Strahlung der Umgebung gemessen werden – ein Auto, das ein schwach radioaktives Präparat im Kofferraum hatte, war in einen Unfall verwickelt gewesen. Das Präparat war für ein Meßgerät eines Kohlekraftwerks bestimmt und konnte mit der unbeschädigten Verpackung geborgen werden. „Es bestand für die Bevölkerung keinerlei Gefahr“, sagt Hendriks.
Natürlich, so räumt der junge Mann ein, habe er zu Beginn eines Einsatzes oft ein mulmiges Gefühl. Aber im Gespräch mit den anderen drei Männern der Besatzung und den eintreffenden Informationen über Funk werde er dann wieder ruhiger. Dann überwiege das Rationale. Ob er sich nicht manchmal vorstelle, bei einer großen Katastrophe im Einsatz zu sein und dann in die Richtung fahren zu müssen, aus der die Menschen fliehen? „Auf diesem Wagen sitzen keine Helden“, antwortet der Feuerwehrmann, der im zivilen Beruf Verwaltungsangestellter ist. Sobald die Schadstoffe draußen den zulässigen Grenzwert übersteigen, macht Hendriks kehrt. „In die Wolke hineinfahren, ist nicht unser Geschäft“, sagt der kurzgeschorene Mann, den seine Kameraden wegen seines Nachnamens Jimi nennen.
„Die Feuerwehr verfügt nicht über Fuchs-Spürpanzer“, ergänzt Marlis Cremer. Mit denen könne man in kontaminiertes Gebiet hinein. Der nächste Fuchs sei bei der Bundeswehr in Höxter stationiert. „Wenn die dort Diensthabenden nicht gerade frei haben oder im Auslandseinsatz sind, kann so ein Panzer sicher in wenigen Stunden im Kreis Aachen einsatzbereit sein.“ Etwas bitter lächelt die Amtsleiterin: „Nicht alles, was wünschenswert ist, ist bezahlbar.“ Die Bürger würden ein Rundum-Sorglos-Paket von den Behörden fordern, andererseits sei bei öffentlichen Ausgaben Geiz ja besonders geil.
Dabei würden die Bedrohungen ziviler und militärischer Art eher zunehmen. Konkrete Bedrohungsszenarien seien allerdings nicht Ausgang der Planung. Zwar sind in unmittelbarer Nähe die AWACS-Aufklärungsflugzeuge der Nato stationiert, die Basis in Geilenkirchen sei sicher ein reizvolles militärisches Ziel. Etwa 100 Kilometer in südwestlicher Richtung stehen die drei Blöcke des 30 Jahre alten belgischen AKWs Tihange. Auch die Forschungsanlage in Jülich sei recht nah. Aber Sorgen machen der Beamtin eher die vielen Gefahrguttransporte auf den umliegenden Autobahnen. Da ergänzt Hartmut Prast: „In Jülich haben wir eine perfekt ausgerüstete Werksfeuerwehr.“ Ihn sorge mehr der islamistische Terror. Als Papst Benedikt im Sommer 2005 vor hunderttausenden von Gläubigen in einer nahe gelegenen Kohlegrube predigte, war Prast mit dem ABC-Erkunder präventiv im Einsatz. „Nach fünf Semestern kann ein Chemiestudent ohne Weiteres Nervengas herstellen.“