ZWISCHEN DEN RILLEN
: Stolpersteine und Minihörspiele

Niobe: „Child of Paradise“ (Onglagoo/Broken Silence)

Niobes Musik klingt, als drehe man bekifft an einem Weltempfänger – und auf wundersame Weise passt alles zusammen, rhythmisch wie atmosphärisch

Mit welcher stimmlichen Vielfalt sich Niobe alias Yvonne Cornelius allein auf den ersten Stücken ihres neuen Albums „Child of Paradise“ präsentiert! Eher lasziv beim Auftaktsong „Daybreak“, im nachfolgenden Titelstück dann im eindringlichen Spoken-Word-Duktus, und im dritten Song „James“ bei aller Soulfulness fast ätherisch.

Hört man sich dann weiter durch ihren mittlerweile sieben Alben umfassenden Katalog, stößt man auf immer mehr Variationen ihres warmen, hellen Timbres: leichtfüßige Bossa-Nova-Momente gibt es da ebenso wie Vocoder-Effekte, die ihrer Stimme etwas Comicfigurenhaftes geben. Cornelius’ Songs lassen sich am besten als Miniaturhörspiele beschreiben, in denen sie Electronica, Weltmusik, Folk, Neue Musik und Jazz miteinander verschmilzt.

Im Dienst der Storys

Ihre Stimme stellt sie dabei auf ganz uneitle Weise in den Dienst der Geschichten, die sie erzählen will – und lässt sie auch einmal in Soundfragmenten untergehen, wenn es der Song eben fordert. Insofern doppelt erstaunlich, dass ihre musikalische Laufbahn ausgerechnet mit einem Operngesangstudium begann. Das war, bevor sie 1994 nach Köln zog und dort im stillen Kämmerlein mit Akustikgitarre, Effektgeräten, Sequencer und Acht-Spur-Gerät ihren eigenen Sound suchte.

Mit ihren ersten Soundcollagen, so erinnert sie es jedenfalls in Interviews, stieß sie weitgehend auf Unverständnis, fand aber Unterstützer beim kleinen, feinen Label Tomlab. Geld verdienen lässt sich mit diesem Sound allerdings nur bedingt, auch wenn sie mit David Byrne oder David Grubbs zwischenzeitlich prominente Fans gewonnen hat. Und so komponiert sie für ihren Broterwerb auch für andere Künstler und leiht ihre Stimme, etwa an den Mouse-on-Mars-Hit „Shivers“ (2004).

Mit Köln fühlt Cornelius sich innig verbunden, obwohl ihr Ansatz zu eigenbrötlerisch ist, um mit existierenden Musikszenen mehr als nur lose assoziiert zu sein. Doch es gibt sie, die Berührungspunkte jenseits von Auftragsarbeiten: Der tolle Electronica-Künstler Jörg Follert alias Wechsel Garland zum Beispiel ist einer der Produzenten ihres neuen Albums. Erst das klassische Opernstudium und dann die experimentierfreudig-verspulte Richtung, in die Cornelius sich als Niobe entwickelte! Auf den ersten Blick geht das kaum zusammen, zeigt aber, in welchem Spannungsfeld sie unterwegs ist.

Da ist auf der einen Seite ein hochkulturaffiner Kunstwille, der unüberhörbar in ihren Kompositionen steckt, aber eben auch eine Verspieltheit, die sich aus bunter Alltagskultur, aus Comics und Filmzitaten speist. Niobes Musik klingt, als drehe man bekifft an einem Weltempfänger – und auf wundersame Weise passt alles zusammen, rhythmisch wie atmosphärisch. „Child of Paradise“ ist zwar ähnlich kleinteilig, wie es Cornelius’ frühere Veröffentlichungen waren, angefangen mit dem passend betitelten Debüt „Radioersatz“ (2001). Verspult wirkt an ihrer Musik mittlerweile nur noch wenig, auch wenn es immer noch leiert, quietscht und zirpt: ein Sound, der eklektizitisch ist, dem man aber seinen Eklektizismus nicht anhört. Aus Fragmenten hat Cornelius ein kohärentes Ganzes geschaffen, getragen von cleveren Rhythmen, die einen ganz eigenen Sog entwickeln. Und doch klingen die Fetzen, die diesmal aus dem Weltempfänger herauswehen, bisweilen fast nach Easy-Listening.

Zumindest an der Oberfläche wirkt „Child of Paradise“ ein bisschen gefällig. Fast wünscht man sich, stärker gefordert zu werden, an den einen oder anderen Stolperstein zu stoßen: Momente zu finden, in denen sich die polyphone Verzweigtheit ihrer Songs nicht nur unter dem Kopfhörer erschließt. Oder in denen eine homogenere, intensivere Atmosphäre aufgebaut wird, wie auf dem Vorgängeralbum „The Cclose Calll“ (2011), das etwas unterschwellig Bedrohliches ausstrahlte.

Auf „Child of Paradise“ dagegen springt die Hörerin zunächst wenig direkt an, was verlangt, gleich noch einmal gehört zu werden. Was jammerschade ist! Denn wenn man etwas genauer hinhört, macht „Child of Paradise“ tatsächlich bei jedem Hören mehr Freude.

STEPHANIE GRIMM