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Archiv-Artikel

Radikal denken

Michael Heitz und Sabine Schulz wollen mit ihrem noch jungen Theorieverlag Diaphanes Debatten anstoßen, das machen, was sie interessiert – und ein paar Kröten verdienen

VON INES KAPPERT

Diaphanes hat es geschafft. Die meisten, die sich für zeitgenössische Theoriebildung und hübsche Bücher interessieren, haben von dem kleinen Züricher Philosophie- und Theorieverlag mit zweitem Standbein in Berlin inzwischen mindestens gehört. Die Quadratur des Kreises hat also geklappt: Diaphanes findet sich auf dem besten Weg, rentabel zu werden, und wird demnächst auch seine beiden BetreiberInnen ernähren können. Vor drei Monaten erst wurde sogar umgezogen: Von einem zwölf Quadratmeter großen Produktionsbürochen am Prenzlauer Berg an den Oranienplatz, genauer in die Dresdener Straße 118 und noch genauer: in ein weitläufiges, halbseitig verglastes Ladenlokal. Hier wird wieder gemeinsam gearbeitet, aber jetzt eben auch direkt verkauft: Bücher aus eigener Produktion sowie Ausgewähltes von befreundeten Verlagen wie Merve, Matthes & Seitz, Turia + Kant, Urs Engeler. „Vielleicht kommen ja noch ein paar Kröten rein“, sagt Michael Heitz, Verlagsgründer und Geschäftsführer, zum neuen Laden. Und funktioniert das am neuen Ort? „Och ja, dafür dass wir keine Werbung gemacht haben und erstmal Regale bauen mussten, läuft es ok.“

Nachdem der Verlag 1999 gegründet wurde, galt es zunächst eine längere Durststrecke durchzustehen. Doch mit Giorgio Agamben, mittlerweile superberühmter Philosoph, den in Deutschland 2001 noch kaum jemand kannte, fing dann alles richtig an: „Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik“ war das erste erfolgreiche Diaphanes Buch. Sabine Schulz hat es aus dem Italienischen übersetzt. Die gerade einmal 148 Seiten umfassende Studie umkreist die Figur des Flüchtlings, der sich u.a. dadurch auszeichnet, dass er die Bande zwischen Mensch und Bürger „sprengt“. Der Flüchtling verkörpert daher das vom Nationalstaat Verworfene, denn dieser sichert seinen Mitgliedern nichtnur das Recht auf Leben, sondern auch auf Glück und damit auf (politisches) Denken zu. Das Provokante nun an „Mittel ohne Zweck“ ist Agambens höchst umstrittene Generalthese: Er zieht eine Verbindungslinie von den Griechen über die Nazis bis ins Heute und zeigt, dass sowohl demokratisch als auch totalitär verfasste Gesellschaften die Figur des absolut Rechtlosen produzieren. Der Versammlungsort für jene eingeschlossenen Ausgeschlossenen ist das Lager. Das Lager aber ist für Agamben keine Anomalie, sondern sowohl Diktaturen als auch heutigen Demokratien eigen: Die einen haben Konzentrationslager, die anderen Flüchtlingslager. Das Lager ist die „versteckte Matrix (...) des politischen Raumes, in dem wir immer noch leben.“

Diaphanes übersetzte auch die ebenfalls sehr thesenfreudige Philosophie der Professoren Jean-Luc Nancy (Straßburg) und Alain Badiou (Paris) ins Deutsche. Beide sind in Frankreich schon seit längerem intellektuelle Institutionen. Nancy, dessen Schriften die Grenze zwischen Philosphie und Literatur aufweichen, denkt das Politische als die Grundvoraussetzung des Philosophischen und hat jüngst die Frage der Globalisierung in ein an der Dekonstruktion geschultes Denken eingetragen. Der gelernte Mathematiker Badiou dagegen versucht mit der ihm eigenen Radikalität, die Lehre von „Sein und Ereignis“ nicht zuletzt mit den Mitteln der Mengenlehre aufzuschlüsseln. Als ehemals führender Kopf der französischen Maoisten ist zudem das Thema der Revolution für ihn zentral.

Schon anhand dieser groben Skizzen der drei Paradepferdchen des kleinen Verlags verdeutlicht sich dessen prinzipieller Ansatz: Ausgewähltes – und das heißt zumeist Provokantes – aus der italienischen und französischsprachigen Theorieproduktion auf Deutsch zugänglich zu machen. Insgesamt pendeln die Auflagen bei Diaphanes zwischen 500 bis 2000 Stück. Die Kundschaft, so überreißen die beiden BetreiberInnen knapp, beschränkt sich keineswegs auf Studierende, sondern findet viele Interessenten, die irgendwann mal an der Uni waren, mittlerweile die Dreißig überschritten haben und sich jetzt eher zwischen den Feldern Bildende Kunst und Theater bewegen.

Auf die Frage, wie die beiden Verlagsautodidakten – sie sagen: „totale Dilettanten“ – darauf gekommen sind, etwas finanziell so Sprödes wie Theorie zu verlegen, antworten sie entschieden pragmatisch: „Arbeiten. Wir wollten arbeiten. In selbst gemachten Strukturen und mit Büchern, die uns gefallen. Wir kommen halt vom Inhalt her.“ Und was sind heute die inhaltlichen Kriterien für das mittlerweile über 80 Titel umfassende Programm? „Wir verlegen das, was uns persönlich interessiert. Uns geht es darum, Debattenfelder zu eröffnen“, sagt Schulz. Und Heitz ergänzt: „Theoriebildung im Feld des Politischen verlangt, nach dem Undenkbaren und Unbedingten zu fragen. Sie erfordert eine Radikalität des Denkens. Und genau die suchen wir.“

mehr Infos: www.diaphanes.de