: Die verlassene Jungfrau
EXTREMADURA Zur Schwarzen Madonna in Guadalupe beteten die Eroberer
■ Die Region: Die Extremadura, im Westen Spaniens nahe der Grenze zu Portugal ohne Zugang zum Meer gelegen, war lange die ärmste Region des Landes. Viele suchten ihr Glück deshalb in der Neuen Welt, dem erhofften Eldorado. Die Spuren der Kolonisatoren finden sich beispielsweise an der Fassade des Stammsitzes der Pizarro in der Stadt Trujillo.
■ Nationalpark Monfragüe: Das Vogel- und Wanderparadies ist einer der schönsten Naturparks Spaniens. Hier wächst der letzte ursprüngliche Mittelmeerwald des Landes mit Steineichen. Berühmt unter Ornithologen sind die Geier und Greifvögel, die sich am Flussufer und den kleineren Zuflüsse des Tajos beobachten lassen. Im Naturschutzzentrum „Centro de Educación Ambiental“ können sich Besucher informieren und an geführten Wanderungen teilnehmen. www.monfrague.com
■ Via de la Plata: Historische Straße zwischen Sevilla im Süden und Astorga im Norden Spaniens. Sie zieht sich über Hunderte Kilometer in Nord-Süd-Richtung durch die ehemalige römische Provinz Lusitania. Wörtlich übersetzt, würde der Name eigentlich „Silberstraße“ bedeuten, er kommt jedoch von dem maurischen bal’latta für „breiter gepflasterter Weg“. Heute ist die „Via de la Plata“ ein Pilgerweg; er gehört zu den Jakobswegen, die im spanischen Santiago de Compostela enden. www.rutadelaplata.com/de/
VON EDITH KRESTA
Einen zarten Kuss haucht der Mönch der schwarzen Jungfrau von Guadalupe entgegen, als er die goldene Tür öffnet und über ein Drehkreuz die Muttergottes aus den Höhen des Hauptaltars auf Augenhöhe der Besucher in der Galerie dreht. Hier steht sie. Wohl behütet. Die kleine Figur aus schwarzem Zedernholz im prächtigen, mit Goldfäden durchwirkten Gewand sieht aus wie ein edles Sofapüppchen. Die schwarze Madonna wird den Touristen unter Aufsicht eines meist schlecht gelaunten Mönchs gezeigt. Sie ist der Schatz des Klosters.
Das Kloster Guadalupe in der spanischen Extremadura mit seinen Zinnen und Glockentürmen ist eine Festung über der kleinen Ortschaft. Die bergige Landschaft ist im Frühsommer grün und blumenreich. Doch schon bald wird die Hitze hier unerträglich. Hinter den dicken, kühlen Klostermauern von Guadalupe wurde Medizin und Chirurgie gelehrt. Die medizinische Fakultät war das Erbe der Araber, deren Vertreibung 1340 auf den martialischen Gemälden im Kreuzgang des Klosters erzählt wird. Auch die Inquisition wütete in dem Pilgerort: Im 15. Jahrhundert wurden Juden des Ortes, die zum Christentum konvertiert waren, getötet, weil sie angeblich an ihrem früheren Glauben festhielten. Das große Gebäude der Inquisition kann heute noch in den verwinkelten Altstadtgassen besichtigt werden.
Für das christliche Spanien war Guadalupe nach der Reconquista, der Vertreibung der Mauren, der wichtigste Wallfahrtsort in der Extremadura. Bedeutender als Santiago de Campostela, der Ort des Maurentöters Santiago Matamoros, der heute als Pilgerziel weltberühmt ist. Eroberer, Kolonisatoren und Konquistadoren pilgerten einst zur Schwarzen Madonna von Guadalupe. Sie war die Schutzherrin des christlichen Spanien und seiner Identität. In Guadalupe unterschrieb Kolumbus seinen Vertrag mit den katholischen Königen und brach mit ihrem und der Jungfrau Segen in die Neue Welt auf. Hier soll Cortéz, der Eroberer Mexikos, neun Tage und neun Nächte vor der Statue der Gottesmutter gebetet haben.
Am 29. Juli 1496 wurden in Guadalupe die ersten Vorzeigeindianer im Lendenschurz getauft, die Kolumbus aus der Neuen Welt mitgebracht hatte. Diese Taufszene, in Bronze gegossen, ist an der Klostermauer zu sehen, gegenüber dem steinernen Wasserbecken des Kirchplatzes.
Heute kommen vor allem Kulturtouristen nach Guadalupe. Sie wohnen hinter dicken Mauern im Klosterhotel, in dessen Innenhof Kolumbus mit gespreizten Beinen, Schwert und Kreuz siegesgewiss auf der Weltkugel steht. Oder gleich gegenüber im Hotel Parador, mitten im Zentrum mit seinen Bars und Läden für selbst gemachte Korbwaren. Der Parador, einst ein Krankenhaus, erzählt von der maurischen Geschichte dieser Region. In seinem schattigen Kreuzgang findet sich ein ruhiges Plätzchen zwischen duftenden Zitronen- und Orangenbäumen. Es gibt Pata Negra, den Schinken von heimischen, Korkeicheln fressenden schwarzen Schweinen, und schweren Wein – bodenständiger Geschmack der Extremadura.
Mit dem Namen der Schwarzen Madonna als Schlachtruf stürmten die Konquistadoren in die Neue Welt, ermordeten zahllose Indígenas und nahmen die Länder in Besitz. Sie entdeckten den Amazonas, den Mississippi, sie eroberten Guatemala, Mexiko und Peru. Kolumbus nannte unter anderem eine Antilleninsel Guadalupe. Nur wenige der Kolonisatoren kehrten in ihre Heimat zurück.
So wundert es nicht, dass eine schwarze Jungfrau, eine Guadalupana, auch in der Neuen Welt auftauchte. Umrankt von einer neu gesponnen Legende, wurde sie nach Mexiko importiert und dort integriert. Die schwarze Madonna der Eroberer wurde zur Fürsprecherin der Eroberten: „La Morenita“ – die dunkelhäutige Jungfrau – wird als Nationalheilige verehrt. Mehr als 20 Millionen Menschen pilgern jährlich in die Basilika der Jungfrau von Guadalupe in Mexiko-City.
Galt die Schwarze Madonna aus dem spanischen Guadalupe den Eroberern als Zeichen ihrer göttlichen Mission, ihrer Macht und Herrlichkeit, so wurde die mexikanische Guadalupana – Ironie der Geschichte – zum Symbol des Protests gegen das Kolonialregime: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts und damit des Unabhängigkeitskrieges hefteten sich die Aufständischen das Bild der Gottesmutter auf ihre Banner und stürzten sich – mit ihrem Namen auf den Lippen – in den Kampf.
Heute sind Strahlkraft und Popularität der mexikanischen Jungfrau von Guadalupe weitaus größer als die ihres spanischen Modells. Deren Mythos verblasste. Die Fürsprecherin der Eroberer, die Hüterin des christlichen Nationalbewusstseins, der Hispanidad, hat an Publicity verloren. Der schwarze Star der Eroberer über dem Hauptaltar ist fast vergessen. Geschichte.