: Man nehme 15 Kilo Zwiebeln
DAS VERGESSENE REZEPT Früher wurde oft in großem Stil gekocht. Wer heute die Massenverpflegung beherrscht, hat plötzlich viel mehr Freunde
■ Die Zutaten (für 200 Menschen): 1 Kilo Schweineschmalz, 30 Kilo Ochsenbäckchen, 15 Kilo Zwiebeln, 15 Kilo Wurzelgemüse, 30 Liter Trollinger, 20 Liter Fond (oder gekörnte Brühe), 800 Gramm Tomatenmark, 500 Gramm Gewürzmischung (Pfeffer, Piment, Sternanis, Koriander, Paprika), Salz
■ Das Rezept: Ochsenbäckchen parieren, also Sehnen und Fett entfernen und in Gulaschgröße kleinschneiden. Bei Ungeübten dauert das circa vier Stunden. Kippbratpfanne einschalten und eine Viertelstunde warten, bis das Schmalz heiß ist. Fleisch etwa 25 Minuten anbraten, bis es Farbe bekommt. Gemüse (gibt es kleingeschnitten und tiefgefroren im Großhandel) und Tomatenmark zugeben und ungefähr eine halbe Stunde unter großer Hitze anbraten. Angebratenes immer wieder vom Pfannenboden kratzen und mit ein paar Litern Rotwein ablöschen. Später den Rotwein, den Fond und die Gewürzmischung beigeben. Zwei bis drei Stunden schmoren lassen. Dazu passen Serviettenknödel.
VON PHILIPP MAUSSHARDT
Am Beginn meiner Karriere als gefragter Partykoch standen zwei Uhrzeiten: Es war 22 Uhr und die Rotweinflasche auf meinem Schreibtisch war noch fast voll. Kurz darauf war es acht Uhr morgens und die Rotweinflasche war leer. Dazwischen musste etwas passiert sein, das ich mühevoll zu rekonstruieren versuchte. Mein Mailprogramm blinkte, die neue Nachricht stammte von Ebay. „Herzlichen Glückwunsch“, las ich am Frühstückstisch, „Sie haben die Auktion gewonnen.“ Welche Auktion?
Wenige Tage später hielt ein Lkw vor meinem Haus und der Fahrer fragte mich, ob ich einen Gabelstapler besäße. Besaß ich nicht. „Wie sollen wir denn jetzt dieses Ding von der Ladefläche bringen? Das wiegt 350 Kilo!“ Ratlos standen wir vor dem Laster, auf dem sich meine „Kippbratpfanne“ befand, ersteigert im Rotweinnebel für 160 Euro aus den aufgelösten Beständen einer Betriebskantine im Ruhrgebiet. Schließlich erbarmten sich einige Nachbarn und wir wuchteten meine neues Schnäppchen auf den Hof. Da stand das Ding: ein Schrank aus Edelstahl mit einer gusseisernen Wanne. Mit einem Schwungrad an der Seite ließ sich die Wanne um fast 90 Grad kippen. So eine riesige Pfanne hatte ich noch nie in einer Küche gesehen.
Erfindungen, die die Menschheit weiterbrachten, seien oft dem Krieg zu verdanken, las ich einmal. Das Telefon, der Radar, Antibiotika. Die erste Gulaschkanone der Welt, so behauptet es zumindest das Wehrgeschichtliche Museum in Rastatt, stehe in ihren Räumen und stamme aus dem Jahr 1814. Es handelt sich um eine Weiterentwicklung der napoleonischen Feldküche, die Seine Majestät im Tross Richtung Moskau mitschleppen ließ.
Essen war immer auch Motivation. Nicht wenige Schlachten wurden wahrscheinlich durch gute Truppenköche entschieden. Auch heute gehört die „Massenverpflegung“ zur Logistik einer modernen Armee. Die mobilen Küchen sind allerdings fest auf Lkw-Anhänger montiert und heißen bei der Bundeswehr Modulfeldküche MFK 2/96 oder in der US Army Assault Kitchen AK. Letztere war im Irakkrieg sehr beliebt.
Fleischermeisterin Peggy Triegel aus Magdeburg hat übrigens eine kleine Broschüre geschrieben: „89 Rezepte für die Feldküche“. Wenigstens mal ein spannender Ansatz in der unüberschaubaren Langeweile der jährlich erscheinenden Kochbücher. Alle Rezeptangaben beziehen sich auf 100 Portionen. Bärlauch-Spaghetti zum Beispiel: Man nehme 6250 Gramm Nudeln … Keine Ahnung, wer heute so ein Kochbuch kauft. Die Bundeswehr? Das Technische Hilfswerk? Oder nur ich?
Früher waren Rezepte für die Massenverpflegung jeder Hausfrau bekannt. Auf der Kirmes wurde aus riesigen Kesseln Siedfleisch oder Kuttelsuppe geschöpft. Für Hochzeiten bereiteten Mägde tagelang das Essen vor. Um das Festmahl für ein mittelalterliches Zunftfest zu kochen, wurde ein halber Wald abgeholzt. Das Wort „Catering“ lag noch tiefgefroren im Stammhirn der Menschheit.
Inzwischen steht meine „Kippbratpfanne“ in einer Blechhütte im Garten. Ein Mechaniker hat Rädchen drangeschraubt, sie ist jetzt transportabel und kommt mehrmals im Jahr zum Einsatz. Immer dann, wenn mindestens 50 Menschen verpflegt sein wollen, gerne aber auch 100 oder 200. Einzige Voraussetzung ist ein Starkstromanschluss in der Nähe.
Die Zahl meiner Freunde hat sich seither verdreifacht. Wer eine Kippbratpfanne besitzt, ist nie mehr alleine. Ich bin inzwischen ein gefragter Gulaschkanonier. Mein altes Auto lasse ich in einer Werkstatt reparieren, deren Chef mir keine Rechnung mehr stellt, seit ich einmal im Jahr für seine Mitarbeiter, Freunde und Geschäftskollegen koche. Auch mein kaputtes Motorboot hat mir Bernd, der Mechanikermeister, gegen 200 Portionen Wildschweingulasch kostenlos wieder in Ordnung gebracht.
Ich hatte das Boot übrigens nach einer Flasche Rotwein zu einem Schnäppchenpreis bei Ebay ersteigert.
■ Die Essecke: Philipp Maußhardt schreibt hier jeden Monat über vergessene Rezepte. Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte, Jörn Kabisch spricht mit Praktikern der Küche, und unsere Korrespondenten berichten, was in ihren Ländern auf der Straße gegessen wird