: Monster im Mahlstrom
MORBIDER POP Drei Jahre lang hat die Britin Anna Calvi im düsteren Keller an ihrem Debüt gearbeitet. Heute präsentiert sie ihr „Monster“: eine leibliche Erfahrung, die bisweilen das Denken überwältigt
VON MICHAEL SAAGER
„Wenn man sich in einem Keller einschließt und völlig isoliert an einem Album arbeitet, kann man schon mal ein wenig den Verstand verlieren“, erzählt Anna Calvi. Drei Jahre hat sie sich mit ihrem Debüt herumgeschlagen, Sonnenlicht hat sie währenddessen kaum gesehen. Ihr „Monster“ nennt sie es.
Auf verschlungenen Wegen geht es mit diesem Monster durch endlose australische Wüstenlandschaften, wie sie in den psychotisch-romantischen Gitarren-Balladen Nick Caves oder denen der „These Immortal Souls“ eine Rolle spielen. Außerdem dabei: die Hauptvertreter des musikalischen Impressionismus Ravel und Debussy, David Lynch und seine Filme, eine Handvoll begnadeter Flamenco-Tänzer, ein Haufen furchtloser Surfer bei starkem Swell vor der Küste Hawaiis und nicht zuletzt Calvi selbst in Gestalt einer operngeschulten Siouxsie Sioux. Dass die 28-jährige Engländerin Maria Callas, Nina Simone und Scott Walker liebt, versteht sich fast von selbst.
Expressiv trifft es nicht ganz, das Album ist mehr: ein Mahlstrom mächtiger Gefühle, impulsiver musikalischer Ausdruck des Außer-sich-Geratens angesichts intimer Verwerfungen. Die Saitenparts hat Calvi allein eingespielt und betreibt mit der Gitarre höchst virtuose, phantasievolle Klangmalerei. Eine hervorragende Wahl ist aber auch Schlagzeuger Daniel Maiden-Wood: immer intuitiv und angemessen kraftvoll entfaltet sich sein Spiel, die Wucht der Drums macht die bedrohlich heranrollenden Momente des Albums erst perfekt. Und ein Nachdenken über die hier ins Zeug gesetzte Überwältigungsästhetik unmöglich: mit dem Körper, den es mit aller Macht in den Sessel drückt, kann man nicht denken, nur leiblich erfahrend genießen.
Calvi hat beides drauf: das zärtlich zurückgenommene, auf der Lauer liegende Hauchen und den kraftvoll gen Himmel fahrenden Gesang. Geschichtet und verdichtet zu Chören und Chorälen gibt einem diese Stimme den Rest, also gerade genug. Calvi beschwört mit ihr Geschichten von großer Lust und romantischer Liebe, na klar. Und schweigt nicht von der Lücke, die der Teufel lässt, um es sich darin gemütlich zu machen.
■ Fr, 11. 2., Prinzenbar, Kastanienallee 20