Volkshochschule wird zur Antifa-Zentrale

Nach monatelangen Querelen um die Gestaltung des neuen Bundesprogramms gegen rechts haben Ende Dezember die ersten Regionen einen Förderzuschlag bekommen. Ob die neuen Projekte effektiv sind, darüber gehen die Meinungen auseinander

In Waiblingen sollen mit dem Geld Migranten integriert werden

AUS BERLIN ASTRID GEISLER

Die frohen Botschaften aus dem Familienministerium flatterten zum Jahresende auf die Schreibtische der Amtsleiter draußen im Land: 24 Kreise und Städte von Nordvorpommern bis Regensburg wurden in einer ersten Auswahlrunde für die Teilnahme am neuen Bundesprogramm gegen rechts ausgeguckt. Unter den erfolgreichen Bewerbern ist auch der sachsen-anhaltinische Landkreis Sangerhausen. Dass die Region zu Recht gefördert wird, dürfte niemand bezweifeln – kurz nach Neujahr warfen Neonazis drei Molotowcocktails auf ein Asylbewerberheim.

Bundesweit 90 Kommunen sollen in den nächsten drei Jahren jeweils 100.000 Euro aus der Bundeskasse zur Umsetzung eines „Lokalen Aktionsplans“ erhalten. Die Neugestaltung des Bundesprogramms unter Federführung des Ministeriums von Ursula von der Leyen (CDU) hatte im vergangenen Jahr wiederholt zu Streit in der Regierungskoalition geführt und heftigen Protest von Fachleuten provoziert. Ein Kritikpunkt: Das Konzept „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ überträgt einen Großteil der Verantwortung an Kommunen und Landkreise und setzt auf ihr freiwilliges Engagement. Dabei seien die Gemeinden häufig selbst Teil des Problems, warnten Kritiker. Zudem würden unbequeme Initiativen nun finanziell vom Wohlwollen der Kommunen abhängig.

Robert Grünewald teilt diese Bedenken nicht. Er leitet das Sozial- und Jugendamt Sangerhausen. „Wir finden es gut, dass wir als Landkreis nun selbst mit anpacken können“, sagt er. Was der Kreis konkret tun will, weiß der Amtsleiter allerdings selbst noch nicht so genau.

Fest stehe, dass künftig nicht mehr die Civitas-Netzwerkstelle im Mittelpunkt der Aktivitäten stehen solle. Stattdessen werde die Volkshochschule die Arbeit koordinieren. Gedacht sei an Präventionsarbeit in Kindergärten und Schulen, um die Offenheit der Kinder gegenüber fremden Kulturen zu stärken. Handlungsbedarf sieht der Amtsleiter auch beim Thema Jugendarbeitslosigkeit. „Viele Jugendliche, die in der rechten Szene aktiv sind, fühlen sich sozial ausgegrenzt“, sagt er. „Wir müssen diesen jungen Leuten das Gefühl geben, dass sie in unserer Gesellschaft eine Chance haben.“ Wie Sangerhausen dieses hehre Ziel erreichen will – auch darüber müsse man noch beraten.

Viele hundert Kilometer weiter stehen die ersten Pläne bereits. Auch der baden-württembergische Rems-Murr-Kreis gehört zu den ersten ausgewählten Förderregionen, denn das neue Bundesprogramm hat auch den Westen der Republik im Blick. Die Gegend um Waiblingen ist seit Jahren bekannt für ihre überdurchschnittlich aktive Neonazi-Szene. In den vergangenen sechs Jahren gab es vier Anschläge auf Asylbewerberheime.

Das Fördergeld steckt der Kreis allerdings in ein Projekt zur besseren Integration von Migranten. „Dieses Thema haben wir viel zu wenig im Blick gehabt“, sagt Frank Baumeister vom Kreisjugendring. Ziel sei es, in den Gemeinden neue Netzwerke für die Integration aufzubauen. Jugendliche mit Migrationshintergrund sollten sich mit Vertretern von Vereinen, Kirchen, Verwaltung und Polizei über die Schwierigkeiten austauschen und gemeinsam Lösungen entwerfen. Ohne den Zuschuss aus Berlin hätte man sich nur auf „sehr kleiner Flamme“ dieses Problems annehmen können, sagt Baumeister.

Die Förderung aus der Bundeskasse hat nicht nur die Waiblinger verlockt. Im Bundesfamilienministerium rechnet man mit insgesamt 400 Anträgen – das heißt: 310 Regionen werden sich vergeblich um die Teilnahme an dem Programm bewerben. Im Februar dürfte die Entscheidung für die zweite Runde fallen.

In Berlin gehen die Meinungen über das neue Bundesprogramm nach dessen Start auseinander. Die Unterhändlerin der SPD-Fraktion für das Thema, Kerstin Griese, zeigt sich nach monatelangem Gezerre mit dem Koalitionspartner erleichtert: „Wenn Kommunen und freie Träger nun vor Ort stärker zusammenarbeiten, ist das eine gute Lösung“, sagte sie der taz. Die Grünen-Abgeordnete Monika Lazar ist weiterhin skeptisch. Dazu trage auch das Beispiel Sangerhausen bei, sagt sie. Statt auf die jahrelange Erfahrung des dortigen Civitas-Büros zu setzen, wolle der Landkreis nun die örtliche Volkshochschule mit der Umsetzung des Aktionsplans betrauen. „Die hat doch davon keine Ahnung“, warnt sie. Zudem fürchtet Lazar, dass gerade Regionen wie Ostvorpommern bei der Verteilung des Fördergelds leer ausgehen: „Im schlimmsten Fall sind diejenigen, die es sehr nötig hätten, am Ende nicht dabei.“