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Archiv-Artikel

„Nutzung sichern und Nachhaltigkeit“

Paul Nemitz von der EU-Kommission über Chancen und Konflikte der neuen Meerespolitik für Nord- und Ostsee

taz: Herr Nemitz, Europa ist eine Halbinsel, die Hoheitsgewässer der EU sind größer als die Landfläche der Mitgliedsstaaten. Hat all das Wasser um uns herum für die EU-Kommission einen Eigenwert?

Paul Nemitz: Ja, sicher. Die Meere sind ja nicht nur ein Wirtschaftsfaktor, sondern auch ein wichtiger Regulator für das Klima. Zudem ist die Meereswissenschaft als Grundlagenforschung von grundlegender Bedeutung für die Zukunft.

Hat das nicht erhebliche Nutzungskonflikte zur Folge? Tourismus und Offshore-Windenergie wird hier im Norden oft als Gegensatzpaar begriffen.

Natürlich gibt es einen zunehmenden Druck auf die Nutzung der Meere: Schiffe, Verkehre, Ausbeutung der Energiepotenziale, eben auch Windenergie. Andererseits wird auch der Bedarf zur Freizeitnutzung und Küstentourismus immer größer. Umso mehr ist es notwendig, Instrumente zu entwickeln, um optimale Nutzung und Nachhaltigkeit gleichermaßen sicher zu stellen.

Mehr als einen Rahmen mit Appellcharakter kann die EU doch nicht setzen.

Im Mittelmeer geht in der Tat bisher nicht viel mehr, weil die Mitgliedstaaten keine 200 Meilen Wirtschaftszonen errichtet haben und wir mit vielen Nachbarn zusammenarbeiten müssen. In der Nordsee und vor allem der Ostsee geht vielleicht etwas mehr. Die Ostsee ist ja praktisch – von dem kleinen russischen Anteil abgesehen – ausschließliche Wirtschaftszone der Mitgliedstaaten der EU.

Was kann die EU bei Nutzungskonflikten tun?

Es gibt einen Katalog von wenigen übergreifenden Prinzipien, die so festgezurrt werden können, dass jeder sich sicher sein, dass auch die anderen sich daran halten. Konflikte im Einzelfall müssen aber in diesem Rahmen vor Ort direkt gelöst werden. Eine EU-Politik kann Nutzungskonflikte nicht auflösen. Wir können aber in der Zukunft dafür sorgen, dass bei Planungsverfahren zum Beispiel für Offshore-Windanlagen die Interessen aller Betroffenen über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg gehört werden.

Klingt gut, aber vage. Kommt bei 27 Mitgliedern am Ende nicht doch nur der kleinste gemeinsame Nenner heraus?

Nein. Jeder Mitgliedstaat sollte doch ein Interesse daran haben, bei Projekten in Seegebieten unter Kontrolle des Nachbarstaates sicherzustellen, dass auch die Interessen der eigenen betroffenen Bürger und Unternehmen gehört werden.

Im Zweifel zu Lasten des Nachbarn ...

So ist es oft, aber das wollen wir ja ändern. Wir wollen nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern Verbindlichkeit für alle. Nehmen wir die Fischereipolitik: Ohne europäische Regeln würde jeder sich nehmen, was er haben will und durchsetzen kann.

Nun ist gerade die kein Ruhmesblatt. Der EU-Ministerrat genehmigt sich jedes Jahr, zuletzt im Dezember, höhere Fangquoten, als Wissenschaftler, Umweltverbände und selbst die EU-Kommission für verantwortbar halten.

Ja, da ist noch viel zu tun, um Nahrungsgrundlagen und Artenvielfalt und die Fischbestände zu erhalten und sorgsam zu bewirtschaften. Aber genau dafür brauchen wir EU-weite verbindliche Regeln.

Ab dem nächsten Jahr soll das Grünbuch konkret umgesetzt werden. Was wäre das optimale Ergebnis für Nord- und Ostsee im 2015?

Die Voraussetzungen zu schaffen dafür, dass die Nutzungen optimiert werden, dass beide Meere wichtige Fanggründe und Schifffahrtswege bleiben und dass sehr viel weniger Schadstoffe eingeleitet werden. Zugleich müssen sie eine Region sein für Urlaub und Tourismus. Und das alles muss möglichst konfliktfrei und unfallfrei funktionieren. Dann haben beide Meere eine in jedem Sinne nachhaltige Zukunft.

Interview: Sven-Michael Veit