Zu viele „No-Shows“

Nach Kritik am deutschen Kontrollsystem wehrt sich die Nationale Anti-Doping-Agentur gegen die Vorwürfe

Selbst die ARD hat mittlerweile verstanden, dass es sich beim Thema Doping nicht um eine Marginalie handelt. Verbannte sie in der Hochphase der Tour-Berichterstattung noch so manch kritischen Bericht aus ihrem Sportprogramm, so soll nun sogar eine Doping-Fachredaktion beim WDR eingerichtet werden. Ab Februar soll sie arbeiten. Gestern hievte die ARD mit der Dokumentation „Mission: Sauberer Sport – Doping-Fahnder im Einsatz“ des Autorenduos Jo Goll und Hajo Seppelt einen Schwerpunkt zum Thema ins Abendprogramm. Fazit der Rechercheure: „Die erheblichen Lücken in der Dopingbekämpfung lassen nur einen Schluss zu: Das deutsche Kontrollsystem ist nicht besser als in anderen Ländern – es ist reformbedürftig.“

Es ging den Autoren hauptsächlich um die so genannten No-Shows, also um die bei Trainingskontrollen nicht angetroffenen – und offenbar nicht bestraften – Athleten. Bei 400 soll die Zahl der No-Shows in diesem Jahr gelegen haben. Diese Neuigkeit verbreitet der Film, der Rest ist bekannt. Dass es Lücken im Kontrollsystem gibt, hat der Geschäftsführer der Nationalen Antidopingagentur (Nada), Roland Augustin, bereits in der taz vom 11. November 2006 zugegeben: „Die Abwesenheit bei Trainingskontrollen ist im Wada-Code ein sehr weicher Punkt, auch was die Bestrafung angeht. Wenn ein Athlet nicht anzutreffen ist, muss dieser Vorgang nachgearbeitet werden. Es ist nicht automatisch so, dass ein nicht angetroffener Athlet einen Missed Test bekommt. Wir gehen alle Schritte noch einmal durch. Wir müssen auch die Aussagen des Kontrolleurs überprüfen. Bei einem Missed Test muss man sich wirklich reinknien.“ Wird ein Nichtantreffen als Missed Test gewertet, ist das gleichbedeutend mit einem positiven Dopingtest; der Sportler muss mit einer Sperre rechnen.

Über die ARD-Dokumentation sagte er gestern: „Dies sind Spekulationen. Wir werden diese Zahlen, Rankings und Listen nicht bestätigen, sie sind von uns auch nicht autorisiert.“ Unabhängig davon, ob diese Zahl den Tatsachen entspreche, sei sie „nicht erschreckend“. Mit einer breiten Datenerfassung per Internet will die Nada die Zahl der No-Shows nun reduzieren. Aber das System ist relativ neu, und nicht jeder Kaderathlet speist seine Daten regelmäßig und wahrheitsgetreu ein.

Weil die Zahl der Fälle, in denen Sportler und Kontrolleur nicht zueinanderfinden, alarmierend hoch ist, hat nun der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) auf den Film reagiert: Er hat die Nada-Verantwortlichen zum Rapport bestellt und eine Presseerklärung verfasst. Generaldirektor Michael Vesper: „Sollten sich die darin [im Film; d. Red.] behaupteten Mängel im Umgang mit nicht angetroffenen Sportler/innen bestätigen, ist die Nada aufgerufen, sie sofort zu beseitigen. Der DOSB hat seinen Zuschuss an die Nada für 2007 verdoppelt, um deren Arbeit im Bereich der Trainingskontrollen verstärkt zu unterstützen.“ Salopp gesagt: Die vom Sportbund alimentierte Nada möge endlich zu Potte kommen und die No-Shows in den Griff bekommen. Auch DOSB-Chef Thomas Bach forderte gestern eine Untersuchung. Geklärt werden müsse, ob es bei der Nada oder bei den Sportfachverbänden administrative Schwachstellen gebe.

Die chronisch unterfinanzierte Nada arbeitet seit Jahren an einer Verbesserung der Kontrollen. Doch nur ein Vertrag mit den Kaderathleten über die verbindliche Einspeisung der Daten kann das Problem mit den verschollenen Spitzensportlern lösen. Solange das nicht geschieht, klafft eine erhebliche Lücke im Kontrollsystem. Bis dahin dürfte die No-Show Konjunktur haben im deutschen Sport. MARKUS VÖLKER