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Archiv-Artikel

Willkommen in der Berliner Republik

Die Kämpfe in der CSU zeigen vor allem eines: Selbst diese Partei, dieser granitharte Block, modernisiert sich

Zur Folklore der Bundesrepublik gehörte neben D-Mark und rheinischem Kapitalismus auch das rückständige Bayern

Worum es bei diesen Kämpfen in Wildbad Kreuth um die Königsposition in der CSU politisch geht, weiß kein Mensch. Woher also kommt dieses nachhaltige Interesse? Natürlich, die Lust am schieren Drama kommt sowieso hinzu – man bekommt da ja auch einiges geboten, eine auf hoher Drehzahl laufende dramatische Maschinerie aus Intrigen, Rededuellen, Meucheleien und Rückzugsgefechten. Wahrscheinlich ist vielen Menschen, die sich das Ganze nun schon seit einigen Tagen in der „Tagesschau“ anschauen, auch eine gehörige Portion Häme nicht fremd. Stoiber ist ja nun wirklich keiner, dem man in unseren Kreisen so ein Straucheln nicht gönnen würde.

Aber neben solchen niederen Motiven (gelegentlich hat man Anlass, sie auch bei sich selbst zu entdecken) ist da noch etwas. Zum einen das schiere Erstaunen darüber, dass so etwas auch bei der CSU möglich ist. Dass sich ein Landesverband der SPD oder auch der CDU komplett selbst zerlegen würde – klar, das kann man sich jederzeit vorstellen. Aber die CSU? Dieser granitharte Block? Das ist schon überraschend. Und zum anderen geht mit dieser Überraschung, wenn man ehrlich ist, sogar ein klein wenig Wehmut einher – und es ist gar nicht so einfach, diesem Gefühl, von dem man dachte, dass man es nie, nie, nie in Zusammenhang mit Edmund Stoiber entwickeln würde, auf die Spur zu kommen.

Eine mögliche These wäre: Was man derzeit erlebt, ist ein weiterer Abschied von der Bundesrepublik. Zu deren Folklore gehörte neben der D-Mark (längst im Euro aufgegangen), dem rheinischen Kapitalismus (in schwerer See), dem Kaufhaus (in der Krise) und der Figur des engagierten Intellektuellen („Ratten und Schmeißfliegen“, lange ist es her) auch ein Bayern, das man im Rest der Republik einfach nicht verstehen konnte. Bayern, das war – von Schwabing abgesehen – viele Jahre lang der schwarze Fleck der bundesrepublikanischen Bemühungen, sich als hellen, säkularen und vor allem tiefergehängten Staat zu entwerfen. Modernisierung, dieses große Schlagwort der Siebziger, wurde in Bayern – wenn man jetzt von der Olympiade 1972 mal absieht – nur als technologisches Projekt verstanden; gesellschaftlich dagegen, so bekam man starke Signale aus dem deutschen Süden, sollte dort drunten alles beim Althergebrachten bleiben: die Kirche im Dorf, die Blasmusik auf dem Oktoberfest und die CSU bei ihrer naturgegebenen absoluten Mehrheit. Gesellschaftlich stellte man sich Bayern also als eine Art vordemokratische Gemeinschaft mit monarchistischen Zügen vor.

Tja. Es war ja sowieso nur ein Bild. Dass hinter der geschlossenen Fassade der CSU in Wirklichkeit natürlich immer Machtkämpfe tobten, hatte man sich ja denken können – wie auch anders in einer politischen Organisation? Aber dass nun auch dieses Bild mit aller Gründlichkeit zertrümmert wird – und zwar von der CSU höchstselbst! –, das wird Folgen haben, egal ob Stoiber sich nun noch einmal retten wird oder nicht. Denn zum Bild von einem CSU-Bayern, das in sich geschlossen und anders ist als der Rest der Republik, wird es kein Zurück mehr geben.

Bei Licht besehen sind die derzeitigen Vorgänge in Bayern nämlich vor allem eins: ganz normal, zumindest wenn man auf die anderen Parteien sieht. Die CDU hat ihren Vatermord an Kohl längst hinter sich. Die SPD erledigte ihre Vorsitzenden zuletzt im Minutentakt. Aber normal wollte man die CSU eben nie haben. Deshalb die Wehmut. Sobald man die überwunden hat, kann man das Ganze aber auch positiv wenden: als späte, aber schließlich eben doch noch erfolgreiche Integration Bayerns in die Berliner Republik. In der ist schließlich nichts mehr selbstverständlich und alles prekär: auch der Vorsitz einer großen Partei. DIRK KNIPPHALS