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Archiv-Artikel

Stoibers Lichtmess

Ohne größere Regung exekutiert die CSU die Höchststrafe an ihrem langjährigen Spitzenmann

AUS MÜNCHENMICHAEL STILLER

Für eine Situation, in die Edmund Stoiber unversehens geraten ist, hatte sein immerwährendes Vorbild Franz Josef Strauß stets eine seiner drastischen Formulierungen parat: Wenn ein Parteifreund am Ende war und immer noch alle über ihn herfielen, rief der bisweilen sentimentale Strauß schon mal zu Pietät auf: „Jetzt haltet das Maul“, sagte er dann, „im Haus des Gehängten redet man nicht vom Strick.“ Die CSU heute hält nicht viel von solchen Sprüchen. Sie exekutiert an ihrem langjährigen Spitzenmann und Erfolgsgaranten ohne große Regungen die Höchststrafe.

In der CSU-Bildungsstätte Wildbad Kreuth, wo am Mittwoch der Anfang vom Ende des Edmund Rüdiger Stoiber begann, waren die Betten nach der Tagung noch nicht frisch bezogen, da war das mühsam ausgehandelte Rücktrittsszenario, mit dem Stoiber noch ein paar Monate sein Gesicht wahren sollte, schon vom Tisch. Am Donnerstagmorgen hatten Mitglieder der Landtagsfraktion und des Stoiber-Kabinetts der Presse bereits die Namen der Stoiber-Nachfolger gesteckt. Nur der noch amtierende Ministerpräsident allein hat an die Option geglaubt, sich mit einer „Charme-Offensive“, wie das sein Umfeld nannte, bei der Basis doch noch die Kandidatur für 2008 sichern zu können. Wer das hörte, wusste, wie es um den Mann steht. Stoibers Charme ist verschreibungspflichtig und der größte Teil der Basis bitterböse.

Auf was genau, weiß man in Bayern eigentlich nicht. Es gibt um Stoiber keine Affäre, alle in der CSU loben seine Politik, seine Verdienste für Bayern, bis zum Donnerstag wollte niemand gegen ihn kandidieren – aber er muss weg. Gut, er hat schwere Fehler gemacht, seit er im Herbst 2005 in Panik aus Berlin in sein bayerisches Biotop floh, er hat die kesse Landrätin Gabriele Pauli mies behandelt und unterschätzt und, als ihm das CSU-Präsidium in einer gewundenen Erklärung zusicherte, er könne 2008 noch einmal antreten, forsch erklärt, halbe Sachen mache er nicht. Das hieß, er wollte eine Freifahrt bis 2013, und das war verhängnisvoll für ihn. „Wenn 15 Würstl serviert werden, kann der Stoiber doch nicht alle nehmen“, charakterisierte ein Landtagsabgeordneter die Gier des Ministerpräsidenten.

Auch gibt es schlechte Umfragen für die CSU, aber das hat die Partei nie sonderlich erschüttert. Warum also diese Kannibalisierung in einer Partei, die sich immer Geschlossenheit und Solidität zugute gehalten hat? Was die Landtagsfraktion viel mehr aufbrachte als Fehler, war die Unbelehrbarkeit, mit der Stoiber einfach weitermachte, und die Unseriosität seiner letzten Berater, die ihn vor nichts bewahren konnten und, da es Staatsbeamte sind, der Partei nie Rede und Antwort stehen mussten. Stoiber und rund 60 Prozent der CSU-Fraktion waren einander einfach leid, der Überdruss war zu greifen.

Die wohlmeinenden, kundigeren Berater aus der Politik, etwa der geübte CSU-Krisenmanager und Landtagspräsident Alois Glück oder der Fraktionschef Joachim Herrmann, drangen bei Stoiber zuletzt nicht mehr durch. Zu Leuten wie Barbara Stamm, Landtagsvizepräsidentin, die eine Art Mutter der CSU-Kompanie ist und immer einen guten Rat hat, hielt Stoiber keinen Kontakt. Er hatte Stamm während der BSE-Krise völlig ohne Not aus dem Kabinett entlassen. Die Fränkin, die auch Stoibers Stellvertreterin in der CSU ist, hatte trotzdem die Größe, in der Krise stets sachbezogen zu bleiben.

Die Landtagsfraktion schaffte in Kreuth auch nicht mehr als eine Notlösung, wollte sie nicht einen Bruch im Zorn riskieren. Die Kurzfassung lautete so: Stoiber ist der Größte, aber leider müssen wir uns von ihm trennen. Auf einem Parteitag sollte der Kandidat für 2008 bestellt und, wenn es nicht Stoiber würde, auch ein neuer Parteivorsitzender gewählt werden. Die Meldung war kaum am Ticker, da war jedem klar, dass es so nicht gehen könne, weil jede Woche weiterer Ungewissheit der CSU schadet. Also wurde Stoiber sogleich wieder unter Beschuss genommen.

Glück, Hermann, der Chef der CSU-Landesgruppe in Berlin, Peter Ramsauer, schoben nach, das Personalkarussell müsse früher in Gang kommen, sonst gebe es keine Ruhe und die Furcht, Stoiber könne sich doch wieder ganz nach vorn drängeln. Tags darauf wurde der Sack zugemacht: Innenminister Günther Beckstein (Ministerpräsident) und Wirtschaftsminister Erwin Huber (Parteivorsitz) wurden als das neue CSU-Spitzentandem geoutet. Es gab noch ein paar lahme Dementis, weil man Stoiber Anfang nächster Woche seinen „Rücktrittsfahrplan“ präsentieren lassen wollte. Unter dem Druck der Meldungen gab er dann am Donnerstagnachmittag bekannt, dass Ende September für ihn die letzte Schicht ist.

Beckstein und Huber hatten sich schon im Herbst 2005, als Stoiber fest für Berlin gebucht war, um dessen Nachfolge duelliert. Seitdem sind sich beide nicht besonders zugetan, es gab Verletzungen im letztlich sinnlosen Wahlkampf, weil Stoiber plötzlich wieder vor der Tür stand und sein Chefzimmer beanspruchte. Beckstein hatte erklärt, unter Huber werde er nicht als Innenminister arbeiten. Um auf einem Parteitag zu bestehen, muss dieses Duo schon gute Absprachen treffen. Da ist nämlich noch Horst Seehofer, der trotz der Schmutzfinken-Kampagne um sein Privatleben gestern seine Ansprüche auf den Parteivorsitz angemeldet hat.

An Ausstrahlung, Kompetenz und Standing ist der Sozialausschüssler dem wirtschaftsliberalen Huber, der ihn nicht leiden kann, weit überlegen. Mit ihm könnte auch ein alter CSU-Grundsatz gewahrt werden, wonach bei einer Zweierlösung der Parteichef das bundespolitische Gewicht der CSU zu wahren habe. Landesgruppenchef Ramsauer wird nicht ohne Not die Mitsprache der Bundestagsabgeordneten reklamiert und auch noch Michael Glos ins Spiel gebracht haben. Der ist aber wegen des Regionalproporzes chancenlos, da er wie Beckstein aus Franken kommt.

Auf dem Parteitag wird auch ein Programmpunkt „Jubel“ angesetzt werden, der Stoiber gewidmet ist und ziemlich scheinheilig ausfallen dürfte. Die Zeit bis dahin reicht für einen Mann seines Zuschnitts und seines Selbstbewusstseins nicht aus, dass er begriffe, was mit ihm geschehen ist.

Immerhin entspricht die Lösung katholischem Brauchtum. Demnächst, am 2. Februar, ist das Fest Maria Lichtmess. Da wurden im katholischen Bayern früher auf dem Land die nicht mehr wohlgelittenen Dienstboten entlassen und neue eingestellt.