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Archiv-Artikel

Erinnern, wiederentdecken und ehren

BIOGRAFIE Die Ausstellung „Gertrude Sandmann – Vom Sehen und Leben“ im Haus am Kleistpark

Warum jetzt im Haus am Kleistpark eine Ausstellung mit über hundert Grafiken, Pastellen und Tagebüchern der Schöneberger Künstlerin Gertrude Sandmann? Anna Havemann, Kuratorin der Schau, erklärt es so: „Man kann sie als Beispiel für die Geschichte der künstlerischen Emanzipation der Frau, als ein Beispiel für die Geschichte der Emanzipation der Frau im Allgemeinen und den Überlebenskampf einer Jüdin während der Schoah lesen.“

Erinnern, wiederentdecken und ehren will Havemann mit ihrer Ausstellung. Als Künstlerin kann man Gertrude Sandmann allerdings kaum wiederentdecken, denn sie war eigentlich nie wirklich bekannt. Nach dem Krieg hatte sie ein paar Mal Gelegenheit, in Schöneberg auszustellen, aber Teil der Kunstgeschichte ist sie damit nicht geworden.

Fragt man Katharina Kaiser, Leiterin des veranstaltenden Kunstamts von Schöneberg, nach dem künstlerischen Rang von Sandmann, bekommt man zur Antwort: „Teil der Avantgarde ist sie nie gewesen.“ Gertrude Sandmann hatte es auch schwer, so lautet fast entschuldigend der Tenor Anna Havemanns. Sandmann, 1893 in Berlin in eine reiche jüdische Familie hineingeboren – der Vater war Handelsrichter, Spirituosenfabrikant und Plantagenbesitzer in Ostafrika –, blieb der Zugang zur Kunstakademie bis zum Ende des Ersten Weltkrieges in ihrer Heimatstadt als Frau verwehrt. Sie beginnt ihre künstlerische Ausbildung 1913 daher an der Kunstschule des „Vereins der Berliner Künstlerinnen“, nimmt später Privatunterricht, unter anderem bei Käthe Kollwitz. Ab 1923 arbeitet sie als freischaffende Künstlerin, reist viel und lebt im Übrigen vom Vermögen der Familie. Als Jüdin erhält sie bald nach der Machtergreifung der Nazis Berufsverbot. Die Repressalien steigen kontinuierlich – nicht wegen ihrer gemäßigt modernen Formensprache als Künstlerin oder ihrer nicht offen gelebten Homosexualität. Es ist die rassische Verfolgung, die ihr Leben immer mehr einengt: Sie darf keine Malutensilien mehr kaufen, hat weder Sozial- noch Krankenversicherung, bekommt weder Zugang zu Kino, Theater noch Sportplätzen, muss ihr Radio abliefern und den Telefonanschluss aufgeben. Eine letzte Chance zur Flucht nach England 1939 schlägt sie aus, um ihre sterbenskranke Mutter nicht im Stich zu lassen. 1940 ist sie selbst so krank, dass sie von der obligatorischen Fabrikarbeit für Juden befreit wird. Als 1942 der Onkel und seine Frau deportiert werden, entschließt sich Sandmann, in den Untergrund zu gehen. Ein Abschiedsbrief täuscht den Behörden Selbstmord vor. Tatsächlich wird sie in der Zweizimmerwohnung einer befreundeten Familie in Treptow versteckt. 1944 findet sie Unterschlupf in einer Laube in Berlin-Biesdorf und erlebt schließlich die Befreiung Berlins bei ihrer Lebensgefährtin in der Eisenacher Straße in Schöneberg. Sie ist eine von etwa 1.700 Berliner Juden, die die Nazizeit überlebt haben. Fürwahr ein bewegendes Schicksal.

Doch in Gertrude Sandmanns künstlerischem Werk ist davon direkt nichts zu sehen. Sandmann zeichnet in Pastell lieber das Schöne, das sie, solange es nach 1933 noch ging, selbst noch unter schwierigsten Bedingungen in ihrer nächsten Umgebung findet. Ein paar Grashalme, eine Topfpflanze bleiben als Motive. Porträts und Akte, einfühlsam reduziert auf das Wesentliche, werden unmöglich. Nach 1945 setzt Sandmann da an, wo sie aufgehört hat. Sie bleibt motivisch in ihrer engsten Umgebung. Zuerst zeichnet sie im gewohnten Pastell Trümmerstraßen, dann aber schleichen sich etwas Zeitkolorit und Experimentierlust in die Blätter. Die Farben werden kräftiger, japanisch anmutende Tuschezeichnungen entstehen, ein sich küssendes (Frauen-)Paar im engem Ausschnitt ist auf die bloße Konturlinie reduziert. Bis zu ihrem Tod 1981 engagiert sich Sandmann, trotz eingeschränkter Gesundheit, noch in der Lesbenbewegung. Ihr Inneres scheint sich aber im Motiv des „Einsamen Menschen“ zu spiegeln. Mehrfach taucht dieses melancholisch Selbstporträt im Spätwerk auf, in der Schau begleitet von tiefschwarzen Nachtbildern. Es sind letzte Blicke aus ihrer Schöneberger Dachwohnung, die sie kaum noch verlässt. Fazit: Zusammen mit den ausgestellten Tagebuchtexten zeigt sich Sandmann im Haus Am Kleistpark auch als Beispiel für die sozial-historische und biografische Bedingtheit des Kunstmachens.

RONALD BERG

■ Bis 3. April, Haus am Kleistpark, Grunewaldstr. 6–7, Di. bis So. 10 bis 19 Uhr, Infos: www.haus-am-kleistpark.de