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Archiv-Artikel

Syrische Gefangene verweigern das Essen

Der bekannte Dissident Michel Kilo und zwei Mitstreiter sind seit fünf Monaten wegen einer Petition im Knast

KAIRO taz ■ Er ist so etwas wie das gute syrische Gewissen. Anders als viele seiner Landleute hat der prominente Damaszener Dissident Michel Kilo nie ein Blatt vor den Mund genommen, wenn es darum ging, das syrische Regime im eigenen Land zu kritisieren. Dafür sitzt er nun seit fünf Monaten im Gefängnis. Um auf sein Schicksal aufmerksam zu machen, ist der 57-Jährige am Samstag mit zwei Mitstreitern, seinem ebenfalls eingesperrten ehemaligen Anwalt Anwar al-Bunni und dem Menschenrechtsaktivisten Mahmud Eissa, in den Hungerstreik getreten. Der Publizist Kilo war im Mai verhaftet worden, nachdem er zusammen mit 274 libanesischen und syrischen Intellektuellen eine Petition unterzeichnet hatte, die die Unabhängigkeit des Libanon von Syrien unterstrich. Die Regierung in Damaskus wurde darin aufgefordert, normale diplomatische Beziehungen mit dem Nachbarn aufzunehmen und dessen Souveränität zu respektieren.

Dies war ein Tabubruch, den das Regime in Damaskus nicht tolerieren wollte. Kilo wurde mit zehn weiteren syrischen Unterzeichnern festgenommen, von denen inzwischen alle bis auf Kilo und Bunni wieder auf freiem Fuß sind. Eine syrische Haftrichterin ordnete dann vergangene Woche überraschend auch Kilos Freilassung gegen eine Kaution von umgerechnet 18 Euro an. Doch die Familie des fließend Deutsch sprechenden Kilo, der in den 60er-Jahren in Münster und München Volkswirtschaft und Politik studiert hatte, wartete zusammen mit seinen Anwälten umsonst darauf, dass „der Papierkram zur Freilassung erledigt wird“. Der zuständige Richter im Gefängnis hatte Kilo bereits über dessen Freilassung informiert, berichtet dessen Anwalt Khalil Maatuk, als „ein Anruf von oben“ das Ganze stoppte und Kilo wieder in seine Zelle zurückgebracht wurde.

Inzwischen wurde die Anklage gegen Kilo sogar noch verschärft. Er habe „Syrien der Bedrohung einer ausländischen Aggression ausgeliefert, die nationalen Gefühle verletzt und das Image des syrischen Staates ruiniert“, lauten nach Ammar Qurabi, dem Chef der syrischen Menschenrechtsorganisation, die neuen Anklagepunkte.

Der hungerstreikende Kilo befinde sich noch in gutem gesundheitlichem Zustand und seine Moral sei hoch, erklärt Anwalt Maatuk, wenngleich ihn der Vorwurf des Landesverrates getroffen habe. Kilo hat sich zwar stets für politische Reformen eingesetzt, gleichzeitig hat er sich aber immer, den Irak vor Augen, gegen eine direkte amerikanische Einmischung verwahrt. „Ein schlechtes Regime ist immer noch besser als das Chaos einer ausländischen Besatzung“, formulierte er einen seiner politischen Grundsätze.

Was nun mit der Akte Kilo weiter geschieht, ist unklar. Rechtlich, erklärt sein Anwalt, gebe es wenig zu tun, da es bereits einen richterlichen Freilassungsbefehl gebe. Es gebe also keinerlei Grundlage für einen Widerruf der Justizentscheidung. Bleibt nur noch das Warten auf einen neuerlichen mysteriösen „Anruf von oben“, der vielleicht doch noch für Kilo die syrische Gefängnispforte öffnet.

KARIM EL-GAWHARY