: Jenseits von Chávez und Lula
Das Weltsozialforum 2007 soll Plattform für das „richtige Afrika“ sein. Südamerikanische Galionsfiguren fehlen hier, umso präsenter sind die Kirchen
AUS NAIROBI Marc Engelhardt
Kurz vor dem Startschuss liegt das riesige Gelände des internationalen Sportzentrums Moi im Norden Nairobis verlassen da. Aus der Ferne klingen Hammerschläge, noch hängen keine Transparente an den nackten Betonwänden. Dass hier ab Sonntag zehntausende Aktivisten von überall her über eine „andere Welt“ diskutieren wollen, scheint kaum vorstellbar. Doch die Planungen für das erste Weltsozialforum auf afrikanischem Boden sind gigantisch: 2.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche sollen bis zum Sonntag gefüllt sein, wenn die Teilnehmer ihre eigentliche Arbeit aufnehmen. Mehr als 1.200 Veranstaltungen sind mühsam auf die drei Tage verteilt worden, die für Seminare, Diskussionen, Vorträge und Kundgebungen zur Verfügung stehen. Auf improvisierten Bühnen soll nonstop Kultur zu sehen sein, für globalisierungskritische Filme sind eigens mehrere Kinos errichtet worden. Eins ist klar: Hier wird nicht gekleckert, hier wird geklotzt. Das Weltsozialforum in Nairobi will ebenso ernst genommen werden wie seine Vorgänger.
Viermal hat das weltweit größte Treffen von Globalisierungskritikern und kritischer Zivilgesellschaft in Porto Alegre stattgefunden, einmal im indischen Mumbai. Dann war Afrika an der Reihe. „Viele haben da ganz selbstverständlich an Südafrika gedacht“, erinnert sich Organisator Oduor Ong’wen. Dass der alternative Weltgipfel stattdessen nach Kenia, ins „richtige Afrika“, gekommen ist, erfüllt ihn bis heute mit Stolz. „Richtiges Afrika“ steht auch auf dem Programm. „Wir wollen den einfachen Leuten hier in Afrika die Gelegenheit geben, von ihrem täglichen Kampf zu berichten und gemeinsam mit anderen Betroffenen Strategien zu erarbeiten“, beschreibt Ong’wen das Ziel des Events. Politische Alternativen für die Öl-Nationen des Kontinents, die Probleme mit der klassischen Entwicklungspolitik oder der wachsende chinesische Einfluss auf Afrika sind nur einige heiße Themen. Auch HIV/Aids, Hunger und Armut in den wachsenden afrikanischen Metropolen und der jüngste US-Militäreinsatz in Somalia sollen debattiert werden.
Auch der globalisierungskritische Diskurs, wie man ihn kennt, findet statt. Die Vizepräsidentin von Attac-Frankreich, Susan George, und die indische BürgerrechtlerinVandana Shiva werden ebenso erwartet wie die kenianische Umweltaktivistin Wangari Maathai oder der südafrikanische Bischof und Anti-Apartheid-Kämpfe Desmond Tutu. „Wie im Gründungsjahr 2001 ist das Weltsozialforum immer noch das Gegenmodell zum Weltwirtschaftsforum in Davos“, betont der kenianische Professor Edward Oyugi. „Wir sagen den Männern in Nadelstreifen: Wenn Ihr schon ständig über die Aufhebung von Grenzen für Güter fabuliert, dann macht die Grenzen gefälligst auch für Menschen durchlässig!“
Verzichten müssen viele eingefleischte Linke dagegen auf manche in Porto Alegre 2005 gefeierten Helden, allen voran Venezuelas Präsident Hugo Chávez. Der gerade mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnete Mitbegründer des Forums, Chico Whitaker, ist darüber nicht sonderlich böse. „Manche glauben, dass ein starker Linker an der Spitze eines Staats das Ziel ist“, konstatiert der Brasilianer. „Aber selbst wenn eine Regierung es gut meint, darf sie nicht die Zivilgesellschaft so unterdrücken, wie Chávez es macht.“ Immerhin darf Sambias Gründungspräsident und späterer Autokrat Kenneth Kaunda auf einen Auftritt hoffen. Der propagierte einst den „afrikanischen Sozialismus“, bevor er nach 27 Jahren Alleinherrschaft abtreten musste. Auch der genaue Beitrag von Winnie Mandela dürfte spannend werden. Um Präsident Lulas Fehlen auszugleichen, schickt Brasilien gleich sechs Minister nach Nairobi – in ihrer Privatfunktion, versteht sich. Denn Regierungen haben auf dem Weltsozialforum kein Rederecht.
Ein weiterer großer Star des Weltsozialforums wird hingegen eher über den Teilnehmern schweben: Gott. „Das ökumenische Engagement bei einem Weltsozialforum war noch nie so groß“, weiß Ulrich Gundert von „Brot für die Welt“. Das spiegelt die Realität in Afrika wieder, wo Kirchen die mit Abstand größte Massenbewegung sind. Die all-afrikanische Kirchenkonferenz und das katholische Hilfswerk Caritas, sonst sehr auf Distanz zueinander bedacht, haben für das Weltsozialforum eigens ein Bündnis geschlossen. „Der unbedingte Glauben an den Markt mit seinen schweren sozialen Folgen ist einer der Absolutismen, gegen die wir als Kirchen zu Felde ziehen müssen“, liefert Rohan Silva, Theologie-Professor aus Sri Lanka, den spirituellen Unterbau für das Engagement. Doch auch gegen die evangelikale Bewegung, die in Afrika stark wächst, wendet sich der Befreiungstheologe: „Viele Pfingstkirchen fördern einen Fanatismus, der die Welt nicht besser machen würde.“ Für manchen Globalisierungskritiker, so glauben Kirchenleute, wird die Omnipräsenz der christlichen Bewegung eher schwer verdaulich sein. „Gerade in Frankreich ist die globalisierungskritische Bewegung eine sehr kirchenferne“, sagt der Pariser Pfarrer Antoine Sondag.
Eine andere Neuerung dürfte weniger umstritten sein: In Nairobi soll nicht mehr nur theoretisiert werden. Stattdessen ist das Programm praxisnäher orientiert. „Wir wollten schon immer mehr Raum für Aktions- und Kampagnenplanung haben“, freut sich Chico Whitaker. „Hier in Nairobi hat es endlich geklappt, einen ganzen Tag dafür freizuhalten.“ 2008 soll es anstelle eines Weltsozialforums einen globalen Aktionstag für eine andere Welt geben. „Das soll eine Signalwirkung haben gerade für Afrika, wo die Zivilgesellschaft noch nicht so stark ist“, hofft Whitaker.
Das gleiche Ziel verfolgt Kiss Abraham, der mit seiner „Karawane“ schon seit einer Woche auf dem Weg von Lusaka in Sambia nach Nairobi ist. An Bord mehrerer Busse sind Künstler und Aktivisten aus Sambia, Simbabwe, Malawi, Südafrika und Tansania. „Wir nehmen das Wort ‚Bewegung‘ ernst“, sagt Abraham. „Mit unserer Karawane wollen wir garantieren, dass das Weltsozialforum auch ganz unten ankommt.“ Die „Karawane“ soll die auf dem Land noch weithin unbekannte Globalisierungskritik bewerben. Gleichzeitig wollen die Teilnehmer sich untereinander besser kennenlernen. Die Vernetzung untereinander soll ein erster konkreter Schritt für die Zeit nach dem Weltsozialforum sein. Denn wenn das Weltsozialforum am 25. Januar vorbei ist, so hoffen die Organisatoren, soll es für Afrikas Bewegungen erst richtig losgehen.