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Archiv-Artikel

„Diskriminierungen erleben wir jede Woche“

Antisemitische Beschimpfungen nehmen zu, sagt Tuvia Schlesinger, Präsident des Sportvereins TuS Makkabi. Der Fußballverband drücke sich vor seiner Verantwortung. Die Bestrafung betroffener Clubs spotte jeder Beschreibung

taz: Herr Schlesinger, am 26. September verweigerten die Spieler vom TuS Makkabi II die Fortsetzung der Partie bei Altglienicke II, weil sie von Zuschauern mit antisemitischen Parolen beschimpft wurden. Sie haben den Vorfall als das Schlimmste bezeichnet, was einem jüdischen Verein seit Ende der Hitler-Diktatur widerfahren ist. Warum?

Tuvia Schlesinger: In der Vergangenheit gab es immer wieder vereinzelte antisemitische Beschimpfungen. Im Fall von Altglienicke handelte es sich aber um eine organisierte und geduldete Feindschaft. 10 bis 15 Menschen haben eine pogromartige Stimmung wahr werden lassen. Der Skandal an der Geschichte ist, dass sie 78 Minuten lang ungestört „Wir bauen eine U-Bahn nach Auschwitz“ – „Wir vergasen euch“ – „Jude, verrecke“ rufen konnten. Die Vereinsfunktionäre, die Schiedsrichter und auch die übrigen Zuschauer unternahmen nichts.

Haben in letzter Zeit die antisemitischen Beschimpfungen zugenommen?

Aversionen spürt man bei einzelnen schon seit längerem. In den letzten Monaten werden sie aber offener gezeigt, und sie häufen sich. Kürzlich rief eine Frau nach einer Schiedsrichterentscheidung auf den Platz: „Du bist doch von den Juden mit ihrem vielen Geld gekauft worden.“ Sie und ihre Sitznachbarn wussten, dass wir Vereinsangehörige vom TuS Makkabi in unmittelbarer Nähe saßen. Dennoch erhielt sie aus ihrem Umkreis auch noch Zustimmung. Man schämt sich nicht mehr, so etwas zu sagen.

Wie erklären Sie sich die zunehmenden Diskriminierungen im deutschen Fußball?

Hier spiegelt sich die Perspektiv- und Orientierungslosigkeit verschiedener Bevölkerungsschichten wider. Bei diesen ist die Neigung da, sich radikalen Gruppierungen anzuschließen.

Was muss im Bereich des Sports getan werden?

Die Verbände müssen mit einem strengen Strafenkatalog dafür sorgen, dass die Vereine Diskriminierungen jeglicher Art auf ihrem Gelände nicht mehr dulden. Potenzielle Opfer müssen auf den Sportplätzen geschützt werden. Das Gedankengut der Täter wird man allerdings so nicht verändern können.

Der Weltfußballverband Fifa hat bereits alle Verbände angewiesen, Diskriminierungen mit Geldstrafen, Punkteabzügen und Zwangsabstiegen zu sanktionieren. Wird das nicht umgesetzt?

In den oberen Ligen, aber nicht in den unteren. Das zeigt der Richterspruch im Fall von Altglienicke. Dieses Urteil spottet jeder Beschreibung. Nur ein Beispiel: Der Schiedsrichter wird lebenslang gesperrt, weil er weggeschaut und -gehört hat. Die Vereinsfunktionäre, die das Gleiche taten, kommen jedoch mit dem Besuch eines Antirassismus-Seminars davon. Das ist inkonsequent.

Beim Berliner Fußballverband sagt man dazu, die Maßnahmen sollten eher helfenden als strafenden Charakter haben. Was halten Sie davon?

Der Verband möchte sich um seine Verantwortung drücken. Er will nicht erkennen, was im Berliner Fußball vor sich geht. Es dreht sich hier nicht nur um Makkabi Berlin. Etliche Vereine haben mir geschrieben: Diskriminierungen erleben wir jede Woche.

INTERVIEW: JOHANNES KOPP