: Andersheit als Chance
POLNISCHE KUNST Artur Zmijewski dokumentiert in einem Buch und einer Ausstellung die Haltung der „kritischen Kunst“ nach 1989
VON PHILIPP GOLL
Man könnte die Geschichte auch einmal so zusammenfassen: Nach dem Systemumbruch in Osteuropa wurden auch in Polen die lange Zeit eingeübten und ausgeführten oppositionellen künstlerischen Strategien plötzlich obsolet: Die Adressaten der Kritik waren verzogen. Die polnische Kunst nach 1989 sah sich konfrontiert mit einer Neuvermessung der Machtverhältnisse. Und diese waren wider Erwarten nicht so samten, wie die vorangegangene Revolution es noch gewesen war. Die staatlichen Anstrengungen, einen neuen nationalen Zusammenhalt zu stiften, gingen einher mit der gesellschaftlichen Exklusion von Minderheiten und von Verlierern des Wandels. Der Einfluss der Kirche brachte Polen zudem eines der rigidesten Abtreibungsgesetze in Europa ein und die von der bunten Welt des Konsums unterbreiteten Angebote täuschten nur flüchtig über die sozialen Problemlagen hinweg und waren schnell verzehrt.
Vor diesem Hintergrund entstand im Polen der 1990er die „kritische Kunst“, die auf die Missstände im freien Polen reagierte, auf die Dominanz der Massenmedien, das aggressive Politspektakel und die konsumistische Wende. Mittlerweile renommierte polnische KünstlerInnen wie Artur Zmijewski, Katarzyna Kozyra oder Pawel Althamer, die unter der Ägide des Bildhauers Grzegorz Kowalski (1942) an der Warschauer Akademie der schönen Künste lernten, laborierten an einer Kunst, die sich als gesellschaftliches Bewusstseinsexperiment verstand. Anlässlich der Übersetzung eines der wichtigsten Dokumente der „kritischen Kunst“, ein Buch mit Künstlergesprächen, die Artur Zmijewski mit den Protagonisten dieser Strömung im Zeitraum von 1993 bis heute führte, sind die Werke dieser Bewegung in der Ausstellung „Körper in Aufruhr“ nun in der DAAD-Galerie zu sehen.
In der Ausstellung ist Zmijewski, der derzeit als Kurator die Berlin Biennale 2012 vorbereitet, unter anderem mit seiner Videoarbeit „An Eye for an Eye“ (1998) vertreten. Darin beschäftigt er sich mit Darstellung von Körpern, denen Gliedmaßen fehlen. Ein Mann mit nur einem Bein wird gestützt von einem zweiten Mann mit zwei Beinen. Dergestalt gehen sie Treppen auf und ab, bewegen sich in einem solidarischen Akt mit offensichtlichen Mühen durch Galerieräume. Man muss das vor dem historischen Hintergrund lesen, in dem die visuelle Hegemonie der makellosen Körper und des Schönheitswahns der Werbeindustrie um sich greifen; einer Zeit, in der Künstler die Macht über ihre Sprache, die Bilder, an die Konsumindustrie zu verlieren drohten. Was umgekehrt ebenso zur Folge hatte, dass Kunst als kulturelle Unterhaltung ihre kritische Autonomie verlor.
Unethisch und amoralisch
Einer ähnlichen Stoßrichtung folgt Zbigniew Liberas Film „How to teach Girls“ (1987), einer Art Close-Reading der Frauwerdung eines Kindes durch Schminke und Schmuck, das die Einübung gesellschaftlicher Geschlechterrollen als Gewaltakt darstellt. In seinem umstrittenen Manifest „Angewandte Gesellschaftskunst“ (2007), das ebenso im Buch zu finden ist, formuliert Zmijewski gewissermaßen ein Reintegrationsprogramm des Künstlers, dessen Wirkungsmacht durch die vorherrschende Rezeption der kritischen Kunst der 90er eingehegt und der Künstler als amoralisches und unethisches Individuum isoliert wurde. Eine Antwort auf die von Zmijewski dargelegte Position hat Pawel Althamer in seiner Arbeit „Bródno“ (2000) parat. Althamer spürt darin das gemeinsame Engagement im sozialen Körper auf. Im Warschauer Stadtteil Bródno erarbeitete er mit den Bewohnern eines Wohnblockes eine Lichtinstallation, in der allein durch das An- und Ausschalten der Zimmerbeleuchtungen eine „2000“ auf dem Fensterraster erschien. „Bródno“ ist insofern eine Reflexion über die Rolle des Künstlers in der Gesellschaft, als die Performance delegiert wird: Der Künstler verlässt die übliche Position als Insasse eines White Cube.
Unheimliche Erkenntnis
Eine existenzialistischere Variante der Flucht aus den Zwängen des Kunstbetriebs in die unmittelbare gesellschaftliche Interaktion bietet Joanna Rajkowska mit ihrer Performance „Basia“ (2009) an. Als umnachtete Wanderin im Pyjama stapft sie durch ein polnisches Dorf und gerät in ein ganz anderes System der gesellschaftlichen Zwänge, namentlich dem des Horrors der Nächstenliebe. Eine Frau, die sich ihrer annimmt, gibt sich als ihre Klassenkameradin aus und versucht sie überdies auch noch von der Güte Gottes zu überzeugen, sie betet sogar mit ihr! –, bis schließlich die Ordnungshüter kommen und die verkleidete Künstlerin einsammeln. Das hier aufgestellte Künstlerbild gleicht bei genauerer Betrachtung einem Vexierbild. Im inszenierten Irrsinn der Künstlerin liegt jene unheimliche Erkenntnis der ästhetischen Praxis verborgen, welche die „kritische Kunst“ immer anstrebte, da sie radikale Subjektivität und Andersheit als Chance begriff.
■ Katalog: Artur Zmijewski, „Körper in Aufruhr. Gespräche mit Künstlern“, Bytom, Berlin 2011. Ausstellung: bis 12. März, daadgalerie, Zimmerstr. 90/91