: „Zügel anlegen“
Richard Dyer forscht über Hautfarbe und ihre Repräsentation im Kino. Ein Gespräch über schwarze Coolness und Energie und Brad Pitts Weißsein
Interview WILFRIED HIPPEN
taz: Herr Dyer, auf dem Symposium hier in Bremen sprechen Sie über die Art, wie Hollywood die Performance und die Stimme der schwarzen Jazzsängerin Lena Horne zügelte, damit ihr Auftritt den Konventionen des Filmmusicals entsprach. Warum gerade dieses Beispiel eines Domestizierungsversuchs der afroamerikanischen Kultur ?
Richard Dyer: Nun, ich liebe Lena Horne, sie gehört zu meinen Lieblingssängerinnen. Eine wunderschöne Frau und Sängerin, und das Hollywood der 40er-Jahre wusste einfach nicht, was es mit ihr anfangen sollte.
Wie meinen Sie das?
Ich weiß nicht, inwieweit die wenigen Auftritte ihr gerecht wurden, die sie dann in Filmen wie dem Musical „Cabin in the Sky“ von Vincente Minnelli hatte. Sie entspricht mit ihrer hellen Haut ja nicht dem Stereotyp des Afroamerikaners, und so begann ich mich zu fragen, welche Farbe hat Lena Horne eigentlich, und welche Farbe hat ihre Stimme? Beim Gesang besetzt die Stimme ja auch einen Raum, und wenn Lena Horne bei ihren Filmauftritten immer sehr kontrolliert agieren musste, wenn die Regisseure ihr sagten, sie solle den Mund nicht so aufreißen und lieber „hübsch singen“, sagt das auch etwas darüber aus, wie viel Raum den Farbigen in einem Hollywoodfilm gewährt wurde. Das Beispiel von Lena Horne zeigt, dass ihr nicht mal die Souveränität über ihren eigenen Körper zugestanden wurde.
Auf der anderen Seite wollten und wollen die Studios aber ja auch gerade das nutzen, was Sie die „explosion of black energie“ nennen. Ist das nicht ein fundamentaler Widerspruch?
Was Weiße immer gleichzeitig an schwarzer Musik gemocht und gefürchtet haben, ist ihre Energie. Alleine schon aus kommerziellen Gründen wollte Hollywood immer diese vitale Art von Musik in den Filmen präsentieren, sie aber gleichzeitig auch begrenzen. Und daran hat sich dann bei den Blaxploitationfilmen der 70er und späteren sogenannten Hiphop-Filmen kaum etwas geändert. Man ging in die Kinos, um Funk und Rapmusik zu hören, aber die versteckte Botschaft von all diesen Filmen besteht darin, dass die Helden mit allen Mitteln versuchten, aus dem Ghetto herauszukommen. Genau die Kultur, die diese Filme feiern, wird auf einer anderen Ebene verdammt und als eine Falle angesehen. Darunter liegt immer wieder die Ideologie vom großen Schmelztiegel, in dem jeder alles erreichen kann, wenn er sich nur genug anstrengt.
Wie zurzeit Will Smith in „Das Streben nach Glück“.
Ich war vor einigen Jahren zu einer Tagung eingeladen, bei der Halle Berry vor einem akademischen und fast nur afroamerikanischen Publikum über ihre Karriere sprach. Und auf die Frage nach dem Rezept für ihren Erfolg sagte sie: man müsse hart arbeiten und träumen. Darauf gab es einen riesigen, begeisterten Applaus, der mich fast anekelte. Ich fühlte mich plötzlich so europäisch. Was würde sie all den Afroamerikanern in den Gefängnissen sagen? Ihr habt nur nicht genug geträumt? Aber wir vergessen schnell, wie amerikanisch die Afroamerikaner sind.
Eine eigenartige Entwicklung im heutigen Mainstreamkino ist die Karriere von Morgan Freeman, der inzwischen fast nur noch Rollen spielt, in denen nicht darauf Bezug genommen wird, dass er ein Afroamerikaner ist. Andererseits kann man auch nicht behaupten, dass er versucht, besonders weiß oder neutral zu erscheinen. Wie sehen Sie als Autor einer Monografie über David Finchers Film „Se7en“ dieses Phänomen?
Es ist interessant, dass im heutigen Hollywoodkino ein schwarzer Mann die Stimme der Weisheit verkörpert. Natürlich ist es ein müder, alter, schwarzer Mann, der nicht mehr rebellisch oder gefährlich ist. Also kann man ihm Weisheit zugestehen. Doch immerhin: Bei „Se7en“ gibt es im Drehbuch keinerlei Hinweise darauf, dass der von ihm gespielte Polizist Somerset ein Afroamerikaner sein könnte. Freeman war für die Produzenten einfach nur der beste Schauspieler für diese Rolle. Aber als man diese Entscheidung erst mal getroffen hatte, ging es in dem Film auch um die Repräsentation von Weiß und Schwarz.
Inwiefern?
Weil Freemans Farbe nun immer mitschwingt; man kann sie nicht verschwinden lassen, und so sieht man plötzlich das Weißsein von Brad Pitt. Ich glaube, es geht dabei auch um die Erfahrung von Leid. Schwarze Menschen kennen den Schmerz, genau wie es die Juden auch tun, aber die weißen angelsächsischen Amerikaner haben nicht diese Geschichte von erlittenem Unrecht und Verlust. Und das gibt der Müdigkeit an der Welt bei Freeman eine Tiefe, die meines Wissens kein zeitgenössischer weißer Schauspieler erreichen könnte. Nicht einmal jemand wie Burt Lancaster, der im „Leopard“ eine ähnliche Traurigkeit verströmte.
Andere afroamerikanische Schauspieler wie Samuel Jackson stellen dagegen mit großem Erfolg ihre Coolness aus. Warum kultiviert das Mainstreamkino diese zumindest ansatzweise subversive Attitüde?
In den USA gehören ja die Afroamerikaner zu den eifrigsten Kinogängern, und natürlich hat sich die Filmindustrie darauf eingestellt und liefert ihnen die Bilder, die sie wollen. Aber davon abgesehen bin ich mir noch nicht ganz klar darüber, was die Filme mit der Coolness von Schauspielern wie Samuel Jackson machen. Feiern sie sie, oder versuchen sie, auch ihr Zügel anzulegen? Wenn Weiße diese Herausforderung mögen, ist das vielleicht in sich schon die Herausforderung, um die es im Grunde geht. Doch wenn man versucht, diese Coolness zu nutzen und zu kontrollieren, gibt man ihr ja auch Raum, sich zu entfalten. Populäres Kino ist immer ein Spiel mit dem Feuer. Wenn es nicht brennt, geht keiner in die Filme, aber das Gefährliche soll auch nicht außer Kontrolle geraten.