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Archiv-Artikel

Auf Kreuzfahrt mit dem Bischof

AUS BÜCKEBURGPHILIPP GESSLER

Der Tag des Jürgen Johannesdotter begann gleich mit einer Panne. Lachen, na ja: lächeln muss der Landesbischof darüber, während er mit seinem schwarzen BMW recht sportlich durch Bückeburg, die niedersächsische Kleinstadt nahe Minden, kurvt, vorbei am Helikoptermuseum, am Marktplatz und der etwas protzigen Stadtkirche bis zu seinem Bischofssitz, dem Landeskirchenamt. Der 63-jährige Oberhirte hinterm Steuer erzählt, wie er eigentlich am Morgen ein Paar besuchen wollte, das Eiserne Hochzeit, also 65 Jahre Ehe, feiert – wie er das immer tue, wenn solche Jubiläen in seiner Landeskirche anstünden. Doch es gab wohl ein Versehen mit der Adresse, und so unterhielt sich der Bischof lange mit einer alten Dame, bis ihm schwante, dass die mit ihrem Mann gar nicht Eiserne Hochzeit feierte. Dennoch, sagt Johannesdotter, das sei ein gutes Gespräch gewesen. Seelsorge am falschen, richtigen Platz, Fügung vielleicht?

Johannesdotter mag daran glauben, er ist ein frommer Mann, der gerade jetzt guter Hoffnung und festen Glaubens sein muss. Denn der Landesbischof der evangelisch-lutherischen Landeskirche von Schaumburg-Lippe geht heute, um es gut protestantisch zu sagen, einen schweren Gang. Bei dem in Wittenberg beginnenden „Zukunftskongress“ der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) steht nicht weniger als die Existenz seiner Kirche auf dem Spiel: Soll diese kleinste lutherische Landeskirche der Bundesrepublik verschwinden? Ist Johannesdotter ab morgen arbeitslos?

Eine Million Schäfchen

Nein, so schnell geht das nicht, aber eine Person auf seinem Bischofsstuhl wird es irgendwann wohl treffen: Das im Juli veröffentlichte „Impulspapier“ der EKD, das in der Lutherstadt diskutiert wird, schlägt nämlich vor, bis 2030 alle Landeskirchen abzuschaffen, die weniger als eine Million Mitglieder haben. Eine Landeskirche wie die von Schaumburg-Lippe braucht da ganz viel Gottvertrauen. Denn sie hat nur 61.000 Schäfchen. Zum Vergleich: Allein im Berliner Bezirk Spandau leben 70.000 Protestanten. Würde man über eine Landeskirche von Berlin-Spandau nicht lachen?

Johannesdotter faltet in seinem Büro Servietten für die Gäste. Sein Hausmeister und Fahrer Matthias Merz hat noch schnell ein paar belegte Brötchen von der Bäckerei um die Ecke geholt. Die Sekretärin arbeitet nur bis mittags – aus Kostengründen. Der Bischof fischt ein Blatt von ihrem Schreibtisch. „Eine Taufe“, murmelt er.

Die Landeskirche von Schaumburg-Lippe, Radius: 25 Kilometer, hat nur 36 Gemeindepfarrer. In der Hannoverschen Landeskirche der prominenten Bischöfin Margot Käßmann gibt es mehr als 2.000 Pfarrstellen für über drei Millionen Mitglieder. Für 300 Pastoren dieser Landeskirche, der größten Deutschlands, war Johannesdotter auch einmal zuständig: als Landessuperintendent des Sprengels Stade.

Als 1999 der Bischofssitz in Hannover vakant wurde, kandidierte Johannesdotter gegen Käßmann – und unterlag in der spektakulären Wahl, die die zweite Frau an die Spitze einer evangelischen Kirche brachte. Er trug es mit christlicher Demut. Und schließlich kam dann auch bald die Ernennung zum Landesbischof von Schaumburg-Lippe. Zwar ist Johannesdotter als dieser nun formal wieder auf gleicher Ebene mit Käßmann. Aber Macht hat er – auch in der Kirche wiegen Zahlen einiges – viel weniger. Das kann schon wurmen.

Und jetzt auch noch die drohende Abschaffung seiner Landeskirche, von der der jetzige Papst einmal sagte, das sei eigentlich gar keine Kirche, sondern eine „in historischen Zufälligkeiten gewachsene Bildung“ – kein Wunder, dass der sonst so fröhliche Gottesmann beim Thema „Impulspapier“ sehr ernst wird. Das belegte Brötchen kriegt er nur zur Hälfte runter.

Eine kleine Landeskirche, argumentiert Johannesdotter, tue den Pastoren doch gut: Der Landesbischof sei immer dicht an der Basis. „Und das braucht man doch in einem leitenden Amt“, meint er, „die Begegnung mit der Normalität.“ Neulich etwa habe er einen Obdachlosen, der ihn um Geld für eine Fahrkarte gebeten habe, gleich mit dem Bischofsauto zum Bahnhof gebracht. „Ich bin selbst für Tippelbrüder erreichbar – das ist doch auch was.“ Johannesdotter wird in der Region „roter Bischof“ genannt, der gelernte Hochfrequenzschweißer, Sohn armer Eltern, ist immer noch Mitglied der IG Metall, regelmäßig spricht er auf der Demo am 1. Mai.

Backsteinkirchen im Wind

Johannesdotter will weiter, zwei Gemeinden zeigen, die typisch seien für seine Landeskirche. Die Bischofslimousine fegt über das platte Land, vorbei an Wendthagen, Sachsenhagen, Pollhagen – Dörfer mit gedrungenen roten Backsteinhäusern. Johannesdotter kennt alle Radarfallen und bremst rechtzeitig ab. Neulich sei er aber doch geblitzt worden. „Ah, der Herr Landesbischof“, habe ein Polizist gegrüßt – und ihn weiterfahren lassen, nachdem der Oberhirte versichert habe: „Ich gehe in mich.“

Das Navigationssystem hat den Wagen nach Probsthagen geleitet, einem Dorf, das aus wenig mehr als ein paar Bauernhäusern und einer uralten Kirche besteht. Pastor Jan-Uwe Zapke begrüßt den Bischof, der Ton ist vertraut. Der 37-Jährige zeigt kurz das neue Gemeindehaus gegenüber der Kirche. Es wurde, fast so etwas wie ein Fanal für die Zukunft der Kirche in Deutschland, zu mehr als einem Drittel durch Spenden finanziert – Johannesdotter lobt die Umtriebigkeit seines Pastors. Der erzählt von der wegsterbenden alten Generation der Gemeinde. Da breche eine Tradition weg, meint der Bischof.

Pastor Zapke versucht gegenzuhalten: Etwa mit dem Gospelchor „Kreuz und Quer“ – der Drive dieser Chöre ist im mitunter verkopften deutschen Protestantismus zuletzt sehr in Mode gekommen. Heute, erklärt Zapke, suchten sich die Leute ihre Gemeinde aus, anstatt einfach in die Kirche vor Ort zu gehen. Nach dem Motto: „Ich gehe da hin, wo was los ist.“

Und was meint er zum „Impulspapier“? Würde es umgesetzt, sagt Zapke, wäre er als Pastor fast nur noch ein „Kasualienmeister“. In die weltliche Sprache übersetzt: Der Ortspfarrer hätte nur noch Zeit dafür, die Sakramente zu spenden und zu predigen, fertig.

Es geht weiter nach Altenhagen-Hagenburg zu Pastor Axel Sandrock. Vorher fährt der Bischofsschlitten noch einmal im Kreis um Probsthagen herum, der Oberhirte hat sich zu sehr auf sein Navigationssystem verlassen. Hier in Altenhagen-Hagenburg, sagt Johannesdotter beim Aussteigen aus dem Auto, hing vor zwei Jahren ja mal an der Straße ein großes Plakat der Gemeinde. Es forderte den Bischof auf, neben Sandrock einen anderen beliebten Geistlichen hier zu halten, dessen Stelle unerwartet wegfiel. Und habe er auf das Kirchenvolk gehört? Johannesdotter lacht kurz auf, die Antwort bleibt im Ungefähren. Am Ende musste Sandrocks Kollege gehen, er ist heute arbeitslos, wie später zu erfahren ist.

Die Tür zum Pfarrhaus geht auf, und „Axel“, wie Johannesdotter den Pastor nennt, begrüßt seinen Vorgesetzten. Axel führt zur Kirche St. Nicolai, deren neugotisch-langweiliges Äußeres die Eleganz des Innenraums nicht verrät – „So ist das häufig in der Kirche“, sagt Johannesdotter.

Sandrocks Frau bereitet auf EKD-Ebene den Kongress in Wittenberg mit vor, deshalb ist der dynamische Pastor voll in der Diskussion und schnell bei der Sache. Das „Impulspapier“, sagt er spitz, verstehe unter „Wachstum“ in betriebswirtschaftlicher Denke meist das, „was der Media-Markt damit meint“. Und wenn es um die Frage gehe, ob die kleine Landeskirche von Schaumburg-Lippe aufgelöst werden soll, weil die Verwaltung größerer Landeskirchen womöglich billiger sei, „dann bin ich fast überzeugt, dass wir nicht verschwinden“, sagt Sandrock.

„Wir müssen neu säen“

„Manche sagen ja, er wolle mein Nachfolger werden“, sagt Johannesdotter beim Einsteigen in seinen Wagen. Es geht zurück nach Bückeburg. Wind und Regen peitschen gegen das Bischofsauto, als wollten sie verdeutlichen, wie die Lage der Landeskirche sei.

Johannesdotter wiederholt noch einmal seinen Hauptgrund für die Ablehnung des „Impulspapiers“: Es sei in vielem zu oberflächlich, erfasse auch theologisch nicht ausreichend „die Tiefe der Krise“, in der die evangelische Kirche in Deutschland insgesamt stecke. An Glaubenstradition sei auch in den finanziell noch fetten Jahren bis Anfang der 90er Jahre so viel weggebrochen, dass es jetzt eigentlich Zeit sei, bei den Jungen „ganz neu zu säen“.

Der Bischof ist vom vielen Reden und Fahren etwas müde, der morgens verdrängte Hexenschuss meldet sich wieder. Aber eine Führung durch die Stadtkirche von Bückeburg macht er noch. Seine Augen glänzen angesichts der barocken Pracht. Johannesdotter zitiert das Schriftband an der Fassade der Kirche: „EXEMPLUM RELIGIONIS NON STRUCTURAE – Ein Beispiel der Frömmigkeit, nicht der Baukunst“, heißt es. Ein gutes Motto – auch wenn es um die Kirchenstruktur der Zukunft geht.