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Archiv-Artikel

Ein Liebender ohne starken Rücken

Den Hauptbahnhof hat eine Pannenserie erwischt. Kein Wunder, sagen Architekten, die sich mit Feng-Shui auskennen. Die Regeln der chinesischen Baulehre wurden missachtet. Nun fließt das Qi nicht nur falsch, es brandet gegen den Prunkbau an

VON ULRICH SCHULTE

Wenn sich ein Adliger in China, sagen wir um 200 vor Christus, ein Landhaus bauen wollte, ließ er als Erstes einen Feng-Shui-Meister kommen. Erst nach seiner Analyse durften Architekten und Gärtner, Maurer und Innenausstatter ran. Feng-Shui (chin.: Wind und Wasser) ist eine Lehre, die Räume, Bauwerke und ihre Umgebung in Einklang zu bringen sucht.

Hartmut Mehdorn, der Chef der Deutschen Bahn, und sein Stararchitekt Meinhard von Gerkan haben es nicht so mit Feng-Shui. Das rächt sich jetzt. Ihr Hauptbahnhof hat 1 Milliarde Euro gekostet, 300 Millionen mehr als geplant, und dennoch bröckelt er. Stahlträger krachen runter, das Dach hat Risse, durch die Halle pfeift im Winter ein eiskalter Wind. Die beispiellose Pannenserie in der „Kathedrale der Mobilität“ (Bahn-Werbung) belegt seit Tagen: Das Qi, die unsichtbare Lebensenergie, fließt im Bahnhof nicht nur falsch, sie brandet empört gegen den Prunkbau an.

Woran liegt das? Die Berliner Architekten Silke Epple und Peter Klimberg haben sich auf das Bauen nach Feng-Shui spezialisiert. Sie haben der taz erklärt, was im Bahnhof schief gelaufen ist. Kurz gesagt: eine Menge.

Ein chinesischer Adliger wäre nie auf die Idee gekommen, ein so dominantes Gebäude in einer Brachenlandschaft zu planen. „Ein kraftvoller Bau braucht eine kraftvolle Umgebung. Nur dann kann sich das Spiel der Energien einpendeln“, sagt Epple. Die älteste Schule des Feng-Shui, auch Luan Tou oder Formenschule genannt, denkt die stadträumliche Situation, den Bauplatz und das Gebäude zusammen. Von oben gesehen sieht das im Idealfall aus wie ein Liebender, der seine Liebste umarmt: Das Bauwerk braucht einen starken Rücken, damit es geschützt liegt. Es muss mit zwei Armen seine Umgebung einbeziehen, damit es die Energie aufnehmen kann. Es muss Yin und Yang, also die Energien von Ruhe und Bewegung, in sich tragen. Der chinesische Adlige hätte vielleicht an einem Hügel gebaut, links und rechts hätte Wald das Haus geschützt, der Eingang zu einem See geblickt.

Das größte Problem des Bahnhofs erklärt Klimberg, indem er gen Norden auf die Brache neben dem Humboldthafen weist: kein Halt, kein Schutz, kein Rücken. Der Nordwind stürmt heran, prallt auf die Fassaden, pfeift durch die Türen (siehe Grafik). „Der Bahnhof steht einsam im Stadtraum, wie auf einer Insel, umgeben von viel befahrenen Straßen – er stellt keine Beziehung zu den Menschen her.“

Infos im Internet: www.klimberg.de, www.silke-epple.de