: Eine Vorhand zum Fürchten
Der Chilene Fernando Gonzalez muss nur noch Thomas Haas schlagen, dann steht er im Finale der Australian Open
MELBOURNE taz ■ Thomas Haas hatte gerade in der Nachmittagssonne ein lockeres Training mit Coach Thomas Hogstedt hinter sich, da begann Fernando Gonzalez, 26, auf dem Platz nebenan. Auch er ließ es ruhig angehen, schlug mit Larry Stefanki entspannt ein paar Bälle; viel Rhythmus, leichter Schwung. Nur ein paar Mal zog er das Tempo an, aber das war nichts im Vergleich zu den Geschossen, die er sonst übers Netz jagt.
Der deutsche Teamchef Patrik Kühnen sagt, das sei die schnellste Vorhand, die es zurzeit im Tennis gebe. Die hatte der Chilene Fernando Francisco Gonzalez Ciuffardi, so sein voller Name, immer schon. Aber sie war nicht immer eine Hilfe. Früher hatte er, vor allem wegen dieses Schlages, den Ruf, an einem guten Tag jeden besiegen zu können. Ein paar dieser Tage erlebte bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen, wo er gemeinsam mit Nicolas Massu nach Abwehr von vier Matchbällen gegen Nicolas Kiefer und Rainer Schüttler im Doppel die erste Goldmedaille der Geschichte für Chile gewann.
Aber weil er auch drauflosschoss, wenn sein Timing nicht stimmte, und dabei Fehler über Fehler machte, verlor er zu oft gegen Gegner, die in der Rangliste hinter ihm standen. Sein früherer Trainer Horacio de la Pena scheiterte beim Versuch, ihn zu zähmen. „So lebe ich, und so werde ich auch sterben“, wehrte sich Gonzalez, und damit war die Diskussion beendet.
Fähiger Coach
Bis er sich im Mai vergangenen Jahres mit einem neuen Coach zusammentat, Larry Stefanki, 49. In seiner Zeit als Profi war für den Amerikaner auf Platz 35 der Weltrangliste Schluss, aber als Coach gehört er offensichtlich zu den Besten. Unter seiner Führung wurde der Russe Jewgeni Kafelnikow die Nummer eins des Tennis, desgleichen Marcelo Rios, der bis dato erfolgreichste Tennisspieler Chiles. Rios, Finalist in Melbourne 1998, war als Tennisspieler ebenso begabt wie als Rüpel. Gonzalez hat vielleicht nicht dessen Finesse, dafür aber die Fähigkeit, die Bälle unglaublich zu beschleunigen, und außerhalb hat er nichts von Rios; meist sieht man ihn lächelnd.
Stefanki hat ein Team um Gonzalez aufgebaut, und eine wichtige Rolle darin spielt Fitness-Coach Carlos Burgos. Der strich erst mal den Kuchen – was Gonzalez nicht leicht fiel. Mit dem Erfolg, dass der inzwischen fünf bis sechs Kilo verloren hat und nun noch schneller auf den Beinen ist. Und Stefanki räumte in Gonzalez’ Gedanken auf. Er versuchte ihm zu vermitteln, dass es keinen Sinn mache, auf Teufel komm raus mit jedem Vorhandschuss den Punkt machen zu wollen. Zu der Frage, was denn das Geheimnis des Coaches sei, erklärt Gonzalez: „Im Tennis gibt es keine Geheimnisse. Aber wir haben daran gearbeitet, dass ich in wichtigen Momenten versuchen muss, ruhig zu bleiben. Jetzt versuche ich, die richtige Gelegenheit zu finden.“
Lob vom Gegner
In Melbourne hat er es auf eine Weise getan, die Coach Stefanki gefällt. Auf der Basis eines erstklassigen Aufschlages – nach fünf Spielen führte er in der Statistik der Asse mit 76 vor dem bekannt starken Aufschläger Andy Roddick. Der US-Amerikaner James Blake meinte nach der Niederlage gegen Fernando Gonzales übrigens: „Er schlägt härter und intelligenter auf, er kämpft mehr, er ist einfach ein besserer Spieler als früher.“
Nach drei gescheiterten Versuchen ist er nun zum ersten Mal im Halbfinale gelandet (9.30 Uhr, ARD und Eurosport), und angesichts seiner beängstigend starken Form gilt er im Spiel gegen Thomas Haas als Favorit. DORIS HENKEL