Im digitalen Hörsaal

Erst kamen die Menschen, dann die Unternehmen. Jetzt endlich entdecken auch die Universitäten die Online-Parallelwelt „Second Life“ für sich. Ein Bericht von einer virtuellen Pressekonferenz der UdK

VON WOLF SCHMIDT

Ein seltsamer Ort für eine Pressekonferenz ist das, zumal im Januar: Auf einer kleinen Halbinsel, unter Palmen, sitzen die Journalisten auf Baumstümpfen, während die rote Sonne langsam im Meer versinkt. Überhaupt, diese Journalisten sehen vielleicht merkwürdig aus. Und komische Namen tragen sie. „JB Almodovar“ nennt sich einer aus München, Typ Latin Lover, mit viel Schlag in der schwarzen Hose.

Die Berliner Universität der Künste (UdK) hat zur Pressekonferenz geladen. Zu einer virtuellen wohlgemerkt. In der 3D-Welt „Second Life“ stellt sie einen neuen Studiengang vor, der den etwas verquasten Namen „Leadership in Digitaler Kommunikation“ trägt. Alle Anwesenden sind Avatare, wie die digitalen Stellvertreter echter Menschen heißen. Hinter Avatar „Schild Wexler“ steckt UdK-Professor Thomas Schildhauer. „Der Studiengang ist ein Experiment“, sagt Wexler alias Schildhauer bei der Präsentation. Oder besser gesagt: Er schreibt es in ein Chatfenster.

„Second Life“ ist der derzeit hippste Spielplatz im Internet. Eine Parallelwelt, von der US-amerikanischen Softwarefirma Linden Labs ins Leben gerufen, von den mittlerweile 2,8 Millionen Benutzern weltweit ausgeschmückt. Hier kann jeder so sein, wie er es sich im normalen Leben nicht traut: ob Cyberpunk oder Discoqueen.

Mittlerweile sind in „Second Life“ ganze Städte entstanden. Ein Klick, und das Programm teleportiert einen nach Amsterdam – inklusive Grachten, Coffeeshops und Prostituierte. Ein weiterer Klick: Willkommen auf Schloss Neuschwanstein. Firmen wie Adidas, Dell und Sony/BMG haben den Hype erkannt und Dependancen im Online-Universum aufgebaut. In gigantischen Glaspalästen werben sie dort für ihre ganz realen Produkte.

Jetzt ziehen auch die Universitäten nach, allen voran die US-amerikanischen. Die Ohio State University etwa hat ihren Campus in der Parallelwelt originalgetreu nachgebaut. Die Harvard Law School hält auf einer Pixel-Insel namens „Berkman Island“ interaktive Vorlesungen ab.

Diesen Trend will die Berliner Universität der Künste (UdK) nicht verpassen. Die Studierenden sollen eigene kleine Welten in „Second Life“ erschaffen, Gebäude und Produkte gestalten und Marketingstrategien ausprobieren. Auf lange Sicht will die UdK auch einen Online-Ableger in „Second-Life“ bauen. Dort könnten dann Studis ihre Avatare hinschicken. „Ich könnte mir vorstellen, dass die Studierenden viel Spaß an einer Insel haben und gerne den Stoff in einer Kokosnussschale sitzend hören würden“, sagt UdK-Professor Schildhauer.

Studieren per Stellvertreter, während man selbst zu Hause auf dem Sofa sitzt: Das klingt nach Zukunft. Doch Experten sehen „Second Life“ als Lernplattform eher skeptisch. „Ich sehe nicht, was da jenseits des Hypes möglich sein sollte“, sagt Tilo Hartmann, der virtuelle Realitäten an der Uni Zürich erforscht. „Second Life“ sei „extrem schlecht programmiert“, technisch anfällig und stürze oft ab.

Zudem wurde „Second Life“ in den letzten Wochen immer anarchischer. Marodierende Mafiabanden und Schmuddelsex-Inseln sind da nur das geringste Problem. Sorge macht man sich um Saboteure. Im Herbst legte ein Computerwurm das 3D-Universum stundenlang lahm. Und vor wenigen Wochen ließen Hacker eine PR-Veranstaltung platzen, indem sie Pixel-Penisse regnen ließen.

Dass in der Parallelwelt nicht immer alles nach Wunsch funktioniert, musste auch die Berliner UdK schon feststellen. Bei einer Infoveranstaltung für Studierende, die sie online abhielt, konnten sich die Avatare nicht teleportieren lassen. Stattdessen gelangten sie nur an den Startpunkt von „Second Life“: eine schroffe Burgruine.