Die Firma als Ruhepol

Wer wichtig sein will, muss gestresst wirken – und überhaupt wird unsere Zeit immer hektischer. Mit diesen Klischees und anderen Irrtümern räumt Stefan Klein auf

von BARBARA DRIBBUSCH

Gestresste Topmanager, die mit 60 Wochenstunden ihrem nächsten Herzinfarkt entgegeneilen. Dieses Klischee über unsere angeblich beschleunigte Welt wird oft beschrieben. Bestsellerautor Stefan Klein liefert jetzt Neues. Der Umgang mit der Zeit, so ist seinem aktuellen Buch zu entnehmen, ist eine Frage von gesellschaftlichen Normen und Status. Und deshalb können wir auch versuchen, uns subjektiv zu „entschleunigen“.

„Die Angst, einer Sache nicht Herr zu werden, und die Furcht vor den Folgen kommen verkleidet als Zeitnot daher“, schreibt Klein in seinem Buch: „Zeit. Der Stoff, aus dem das Leben ist“. Er hat die Ergebnisse vieler Studien ausgewertet und neu zu Thesen gebündelt.

Die sogenannte Whitehall-Studie an mehr als zehntausend Beamten in England ergab etwa, dass sich besonders Staatsdiener auf den tieferen Stufen der Hierarchie in Zeitnot fühlten – nicht etwa weil sie so viel zu tun hatten, sondern weil sie über die Einteilung ihrer Arbeitszeit nicht selbst bestimmen konnten. Die höheren, eher weisungsbefugten Beamten hingegen verbrachten im Schnitt sogar mehr Stunden im Büro als ihre Untergebenen, spürten aber weniger Arbeitsdruck, weil sie sich mehr als Herr der Lage fühlten.

Vieles, was wir als Beschleunigung empfinden, hat also mit gesellschaftlicher Hackordnung zu tun. Dazu gehört auch das von höheren Managern gern praktizierte vermeintliche „Multitasking“, also etwa telefonieren, gleichzeitig die Sekretärin herbeiwedeln und E-Mails lesen. Ist nur ein Zeichen von Wichtigtuerei. Es ist nämlich hirnphysiologisch nicht möglich, zwei Dinge gleichzeitig zu machen, so Klein. Wer dies vorgibt, wechselt mit seiner Aufmerksamkeit nur sekundenweise zwischen mehreren Interaktionspartnern und Bildschirm hin und her – und lässt andere unter dieser Unaufmerksamkeit leiden.

Das Mehr an Möglichkeiten der Zeitverwendung, das wir heute haben, führt oft zum Eindruck einer beschleunigten Welt. Der von Klein zitierte amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Daniel Hamermesh stellte fest, dass sich reiche Menschen besonders in Zeitnot fühlten – „ausgerechnet die reichsten Hausfrauen, von Zugehfrauen und Gärtnern umsorgt, sehen sich im Dauerstress“. Die Reichen verfügen nämlich laut Hamermesh über mehr Optionen, mehr Einladungen, mehr Reisen, mehr renovierungsbedürftige Immobilien. Dieses Mehr an Möglichkeiten hat zur Folge, dass sie sich unter Termindruck fühlen. Deshalb gilt es in westlichen Gesellschaften „als Zeichen von Status, wenig Zeit zu haben“.

Auch das Gerede über den angeblich zu stressigen Job entpuppt sich bei näherem Hinsehen oft als Ausrede. Die amerikanische Soziologin Arlie Hochschild stellte in den 90er-Jahren in einer Untersuchung fest, dass berufstätige Eltern auch unter erleichterten Arbeitsbedingungen gar nicht öfter bei ihren Kindern und EhepartnerInnen sein wollten, weil die Firma und nicht die Familie längst „der Ruhepol ihres Lebens“ geworden war.

Gab Klein schon in seinem Bestseller „Die Glücksformel“ Tipps für ein besseres Leben, versucht er sich auch diesmal wieder als Ratgeber – mit etwas banaleren Ergebnissen. Denn: Dass Kindergärten flexiblere Öffnungszeiten brauchen, wir mehr gemächliche Stunden bei Konversation im Café oder beim Spielen verbringen und uns nicht durch unwichtige Dinge stressen lassen sollten, dürften viele LeserInnen schon selbst wissen.

Wer allerdings besser verstehen will, welche soziale Interaktionen sich hinter dem Umgang mit der Zeit verbergen, findet bei Klein einige Anregungen. Etwa die, dass man Arbeitskollegen im Großraumbüro besser nicht allzu oft spontan anspricht: Wer etwa während des Schreibens eines Berichts auch nur durch eine kurze Frage gestört wird, kommt aus dem Konzept und muss spätestens nach 15 Sekunden Unterbrechung alle Daten wieder neu in sein Arbeitsgedächtnis laden, um mit seiner Tätigkeit fortfahren zu können.

Stefan Klein: „Zeit. Der Stoff, aus dem das Leben ist. Eine Gebrauchsanleitung“. S. Fischer, Frankfurt a. M. 2006, 320 Seiten, 18,90 Euro