: Liebe rettet auch nicht alles
Erst lustige Cartoon-Figur, dann Blut spucken: An der Unlust, sich zu entscheiden, leidet im Gorki Theater nicht nur die „Frau vom Meer“ sondern auch die saloppe Inszenierung von Armin Petras
VON JÖRG SUNDERMEIER
Norwegen feiert schon fast ein Jahr lang Henrik Ibsen, aus Anlass des hundertsten Todestages des Dramatikers. Das Maxim Gorki Theater dagegen feiert seit Oktober sein Armin-Petras-Jahr, da Petras sich nicht nur als neuer Intendant beweisen muss, sondern auch als derjenige, der dem Theater zu einer Attraktivität verhilft, die weit über das hinausgeht, was Bühnenstücke allein erreichen können. Das Gorki muss Szenetreff werden.
Petras hat sich für die Politik des Privaten als Leitthema entschieden, lässt Rolf Dieter Brinkmanns Gedichte aufführen und den Roman „Kleiner Mann, was nun?“ von Fallada spielen. Und immer wieder Ibsen. Denn besonders Ibsen erlaubt es Petras, zu zeigen, dass das Private von der Gesellschaft, von den Verhältnissen im Kapitalismus geprägt ist und dass es keine einfache, davon unbelastete Beziehung gibt.
Am Freitag hatte vor ausverkauftem Haus „Die Frau vom Meer“ Premiere, ein Stück von 1888. Ellida, die zweite Gattin des Doktor Wangel, wird gleich zu Beginn gedemütigt – eine Feier, scheinbar gegeben zu Ehren des angereisten Oberlehrers Arnholm, entpuppt sich als Geburtstagsfeier für die verstorbene erste Gattin Wangels. Ihre Kinder, Bolette und Hilde, hassen die Stiefmutter. Arnholm glaubt irrtümlicherweise, es sei beabsichtigt, ihn mit Bolette zu vermählen. Alle versuchen zu erfüllen, was ihnen ihre gesellschaftliche Rolle aufzwingt. Ellida hingegen, die unter der bürgerlichen Fassade leidet, träumt von einem anderen Mann, einem Matrosen und Mörder, dem sie sich vor Jahren versprochen hat. Dennoch ist sie erschüttert, als dieser plötzlich vor der Tür steht. Sie verlangt von Wangel, dass er sie freigibt, damit sie sich frei entscheiden kann.
In Ibsens Stück entscheidet sich die Gattin schließlich für die Ehe mit Wangel. Bei Petras kann sie sich nicht entscheiden. Anja Schneider, die die Ellida leider als blutleeres Seelchen spielen muss, klettert von der Bühne herab und befragt Frauen im Publikum. „Bleiben“ empfiehlt die eine, „Gehen“ die andere. „Immer muss man sich entscheiden“, jammert Ellida/Schneider. Vorhang.
Petras gelingen in dem Bühnenbild von Annette Riedel wunderbare Bilder, etwa wenn zum Ende des Stücks Ronald Kukulies, der den Ballested gibt, mit einem Holzflugzeug aufsteigt, unter dem die Buchstabenfolge „L-o-v-e“ hängt. Auch die Liebesschwüre, die Paare, die sich nicht ansehen, sprechen, können ergreifen. Doch Petras will unbedingt Effekte haschen und inszeniert daher mit dem Holzhammer. Der vom heimlichen Publikumsliebling Gunnar Teuber gespielte Lyngstrand, lungenkrank und mit Künstlerambitionen, muss dumm tun, stolpern, fallen und wird so erst zu einer Cartoon-Figur, dann plötzlich gibt er recht ernst den egoistischen Sexisten, der die Frau nur als Muse betrachten kann, dann spuckt er, nun sehr ernst, Blut, dann wieder muss er mit Hilde, die Anika Baumann als Göre angelegt hat, in einem Planschbecken voller Schlamm Sexakrobatik vollführen. Die Lacher sind auf seiner Seite, doch stehen diese drei Facetten der Person Lyngstrands unvermittelt nebeneinander.
Auch ist nicht zu verstehen, was Ellida an Wangel finden könnte, den Horst Kotterbar kindisch gibt, wenn er ihn nicht gerade smart herumstehen lässt. Hilke Altefrohne als Bollette und Robert Kuchenbuch als Arnholm bleiben, trotz schöner Szenen, blass; man hat den Eindruck, dass Petras vergessen hat, diese Figuren zu streichen, und hat sie nun irgendwie dazugestellt. Alle Figuren sind ein bisschen zu „ey“, sind zu salopp angelegt, ganz so, als ob man über die Verwendung von Alltagssprache und Alltagsgesten die Wirklichkeit auf die Bühne holen könnte.
Wenn man vom Theater will, dass es über Beziehungen oder Gesellschaft spricht, erwartet man, dass hinter den Gesten und Sätzen Wahrheit aufscheint. Petras will sich aber, wie seine Ellida, nicht entscheiden müssen, er vermeidet Gewissheiten, das Ergebnis bleibt offen. Wir bekommen also schöne Bilder, doch nichts, über das sich zu diskutieren lohnte. Das Publikum wird berührt, doch nicht ergriffen, schockiert, aber nicht abgestoßen, amüsiert und nicht schlauer. Am Ende bleibt ihm nur, die Schauspielerinnen und Schauspieler zu loben.
„Die Frau vom Meer“, Gorki Theater, 7. und 29. November, 19.30 Uhr