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Archiv-Artikel

Bundeswehr als ABM-Maßname

Das Verteidigungsministerium hat die Anforderungen für Wehrpflichtige, die länger dienen wollen, gesenkt. Sie müssen nicht mal durchschnittlich sozial kompetent sein

BERLIN taz ■ Die Bundeswehr erweitert ihre Mission: Sie wird zum Auffangbecken für junge Männer, die auf dem Arbeitsmarkt wenig Chancen hätten. Das Bundesverteidigungsministerium hat die Anforderungen an die Charakterfestigkeit der Wehrdienstleistenden, die länger bei der Fahne bleiben wollen, gesenkt. „Zur Erleichterung der schwierigen Bedarfslage“, heißt es in einem Papier des Ministerium, das der taz vorliegt. Es wurde bereits im Juli an alle Dienststellen versandt.

Bisher mussten junge Männer, die ihren Wehrdienst auf maximal 23 Monate verlängern wollten, mindestens durchschnittlich sozial kompetent, psychisch belastbar und charakterlich stabil sein. Die Fähigkeiten der Soldaten werden auf einer Notenskala des Psychologischen Dienstes der Bundeswehr von 1 = „gut“ bis 7 = „miserabel“ bewertet. Doch die notwendigen 4 Punkte erreichen offenbar zu wenige Willige. Nun genügen schon eine 6 in Sozialer Kompetenz und eine 5 in Verhaltensstabilität, um weiterhin Dienst an der Waffe zu leisten. 6 heißt „unter Durchschnitt“, eine 5 bedeutet „knapp unter Durchschnitt“. Immerhin: Die Mindestwerte, so heißt es in dem Schreiben, dürften nicht unterschritten werden.

Der Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, Christian Ströbele, sagte der taz: „Das sind Kriterien, die aus gutem Grunde so hoch lagen. Sie herabzustufen ist nicht verantwortbar.“ Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte der taz, die neuen Regelungen seien seit Oktober in Kraft. „Aber das sind Kann-Bestimmungen. Wer ins Ausland will, muss auch weiterhin unseren hohen Anforderungen genügen.“ Die weniger Fähigen würden nur im Inland eingesetzt, so der Sprecher. „Die Bundeswehr eröffnet damit Jugendlichen eine zweite Chance.“ Welche Posten für die nicht auslandsgeeigneten Rekruten in Frage kämen, konnte er nicht sagen.

Wer seinen Wehrdienst freiwillig ausdehnt, darf grundsätzlich auch an Auslandseinsätzen teilnehmen. Zu den Soldaten, die in Afghanistan stationiert waren und wegen Totenschändung angeklagt sind, gehören auch solche freiwillig Längerdienenden. Zurzeit sind 9.000 Soldaten im Ausland aktiv, darunter rund 700 sogenannte freiwillig Längerdienende.

Nachschubmangel zwingt die Bundeswehr, den Kreis der möglichen Bewerber zu öffnen. Nach Schätzungen der Bundeswehr werden im Jahr 2009 nur noch 350.000 Jugendliche wehrpflichtig statt bisher 450.000, schreibt der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe. Von diesen verweigert wiederum eine erhebliche Anzahl den Wehrdienst. Unter den Bewerbern zum Zeitsoldaten fielen rund 40 Prozent durch die nötigen Eignungsprüfungen. In Kreisen von Militärexperten wird ebenfalls ein Qualitätsabfall bei den Rekruten konstatiert.

FDP und Grüne fordern seit längerem, die Wehrpflicht abzuschaffen und die Bundeswehr in eine Berufsarmee umzuwandeln. SPD und Union lehnen das bisher ab. ANNA LEHMANN