: „Ein Utopieersatz“
Vortrag über die Mitte in der Gesellschaft der BRD
■ 59, lehrt Politische Theorie und Ideengeschichte an der Berliner Humboldt-Uni. 2010 erschien „Mitte und Maß. Der Kampf um die richtige Ordnung“.
taz: Was bedeutet „die Mitte“?
Herfried Münkler: Über 60 Prozent in Deutschland rechnen sich der gesellschaftlichen Mitte zu, der politischen noch mehr. Die Mitte muss als breite Fläche betrachtet werden. Wenn man politisch die Mitte besetzt, spricht man die größte gesellschaftliche Gruppe an, deswegen ist sie für Politiker so attraktiv.
Ist die Mitte ein Ideal? Sie ist in gewisserweise ein Utopieerstatz in Deutschland geworden.
Was unterscheidet die deutsche Mitte von der in anderen Staaten? Die Mitte hierzulande widersteht der Versuchung, rechtspopulistisch mitzuspielen. Das mag daran liegen, dass es keine Identifikationsfigur wie Haider oder Wilders in Deutschland gibt. Es handelt sich um verbotenes Terrain, aufgrund der Erfahrungen am Ende der Weimarer Republik, wo die Mitte aufgesprengt wurde und sich politisch nach rechts bewegt hat. Gibt es eine spezifische Mentalität der Mitte? Ja, das Gefühl des Gesichertseins, eine gewisse Saturiertheit, das ist typisch. Fortschritt passiert in kleinen Schritten, es herrscht ein notorischer Konservatismus.
Was passiert wenn die Mitte wegfällt?
Es werden Eliten in der Lage sein, die politische Kohäsion herzustellen, an die wir uns gewöhnt haben. Der Wegfall der Mitte ist eine Enttäuschung, so etwas durch Elitehandeln aufzufangen, ist eine ungeheure Herausforderung. INTERVIEW: LB
20 Uhr, Hamburger Institut für Sozialforschung, Mittelweg 36