: Bülent Ecevit ist tot
Der frühere türkische Regierungschef erlag am Sonntag im Alter von 81 Jahren einer schweren Krankheit
ISTANBUL taz ■ Kurz vor Mitternacht am Sonntagabend unterbrachen sämtliche Fernsehprogramme ihre Sendungen: Bülent Ecevit, eine der wichtigsten politischen Figuren der türkischen Nachkriegsgeschichte, war nach langer, schwerer Krankheit im Alter von 81 Jahren gestorben. Während man in Europa mit Ecevit vor allem die militärische Intervention der Türkei in Zypern im Jahr 1974 verbindet, war er für die meisten Türken jahrzehntelang die Hoffnung der politischen Linken.
Ecevit eroberte die politische Bühne der Türkei, indem er Izmet Inönü, den letzten politischen Weggefährten Mustafa Kemal Atatürks, Anfang der 70er-Jahre von der Spitze der Republikanischen Volkspartei verdängte und damit eine neue, demokratische Epoche einzuleiten versprach. Die Republikanische Volkspartei (CHP), die Partei Atatürks, war bis Anfang der 50er-Jahre die Staatspartei im Einparteienstaat Türkei. Als dann, nicht zuletzt auf US-amerikanischen Druck (die Türkei wollte in die Nato) das Mehrparteiensystem eingeführt wurde, verlor die CHP die Macht an die konservative Rechte und konnte sie bis in die 70er-Jahre nicht wieder zurückerobern. Ecevit wollte und sollte das ändern, als neuer Führer der Linken in einem demokratischen System.
Ecevit hatte seine starken Jahre in den 70ern im Wettkampf mit seinem Dauerkonkurrenten Süleyman Demirel. Doch weder Ecevit noch Demirel gelang es in der entscheidenden Phase, ein stabiles parlamentarisches System zu etablieren. Zu sehr waren ihre Parteien auf die jeweilige Führungsfigur zugeschnitten, zu viel Patronage und Klientelwirtschaft verhinderten eine demokratische Auseinandersetzung.
Ecevit, von Haus aus Journalist, Dichter und Übersetzer von Shakespeare ins Türkische, blieb in der Politik ein Autokrat, dessen Selbstherrlichkeit mit dazu führte, dass die Linke immer mehr zersplitterte und dem Militärputsch 1980 nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Ecevit wurde wie Demirel von den Militärs 10 Jahre von der politischen Bühne verbannt. Er gründete eine neue kemalistische Partei, die formal zunächst seine Frau für ihn führte und mit der er die Zersplitterung der Linken in den 90er-Jahren fortsetzte.
Als er 1999 überraschend noch einmal Regierungschef einer Koalition wurde, an der auch die rechtsradikale MHP beteiligt war, endete das im totalen Desaster. Die größte Wirtschaftskrise der Türkei 2001 zwang ihn zum vorzeitigen Rücktritt. Heute gilt er als vor allem als ein Symbol des Laizismus. Seine Beerdigung soll zu einer Demonstration gegen die schleichende Islamisierung und die regierende AKP werden.
JÜRGEN GOTTSCHLICH