: Von Daheimgebliebenen und Aufbrechenden
Der Fotograf Lars Nickel zeigt Menschen an Europas östlicher Peripherie
Der Berliner Fotograf Lars Nickel hat die Grenzen in den ehemaligen Ostblockstaaten beobachtet. Solche, die verschwinden und solche, die neu aufgezogen werden. Politische und soziale Grenzen. Seine dabei entstandene Fotoserie „grenzen – verbinden“ stützt sich vor allem auf die persönlichen Erfahrungen und Begegnungen in diesen Ländern. „Die Grenze“, erläutert Nickel seine Annäherung an das Thema, „lebt von den Träumen und Sehnsüchten derer, denen die Überwindung unmöglich ist.“
Der Fotograf spricht aus Erfahrung. Aufgewachsen im Ostberlin der 1970er und 1980er Jahre, bedeutete Grenze für ihn vor allem: Mauer. „Dass die Mauer trennte, konnte man mit bloßem Auge sehen. Grenze hieß: Nächtliches Warten an der Bornholmer Brücke, Abschiede am Tränenpalast. Ende 1989 saßen dann die Menschen trunken auf dieser Mauer. Die Grenzer an der Bornholmer Brücke wurden überrannt. Ab diesem Zeitpunkt erfuhr ich Grenzen auch als Verbindung. Die Angst wich dem Bewusstsein, dass man Grenzen auch überschreiten konnte.“
„Den politischen Umwälzungen im östlichen Europa“, so der Historiker und Publizist Karl Schlögel, „folgt die Transformation des Raums, in dem sie sich ereignet haben. Nun, da der Eiserne Vorhang weggezogen ist, zeigt sich, was Europa ist: ein Kontinent, der ohne Grenzen nicht leben kann. Über die Demarkationslinie, die von der Ostsee bis zum Adriatischen Meer gezogen war, wächst Gras, aber die Differenz, die sie in den Köpfen der jetzt lebenden Generationen produziert hat, ist noch lange nicht getilgt. Nun, da die Schranke, die Ost und West getrennt hatte, niedergerissen ist, können die unterschiedlichen Zeiten erst aufeinanderprallen.“
Die Menschen auf Lars Nickels Fotografien sind Reisende, Daheimgebliebene, Grenzgänger, Wartende, Vertriebene, Geschäftemacher, Profiteure wie Verlierer der Umwälzungen. Ihr Leben ist im Wandel, ganz gleich, ob sie innerhalb der EU wohnen oder – noch? – nicht. Das Fotoprojekt wurde von der Robert-Bosch-Stiftung gefördert.
Die Ausstellung „grenzen – verbinden“ von Lars Nickel ist noch bis zum 1. Dezember in der Fotogalerie Friedrichshain, Helsingforser Platz 1 in Berlin zu sehen