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Archiv-Artikel

Drinnen Kino, draußen Wüste

CHINA Es ist eine Abenteuerreise. In elf Wochen 18.000 Kilometer mit dem Reisebus von Freiburg nach Schanghai

Die Bustour

Die Busreise nach China ist kein Schnäppchen. Etwa18.000 Euro müssen für die zehn bis elf Wochen dauernde Reise hingeblättert werden. Hinzu kommen etwa 500 Euro Visagebühren. Möglich ist, sowohl die Hin- als auch die Rückreise zu buchen.

Angeboten werden die China-Reisen im Luxusbus von Avanti Busreisen in Freiburg, Tel. (07 61) 3 86 58 80, www.avantireisen.de

■ Die China-Reise von Avanti geht in diesem Jahr nach Peking. Reisebeginn ist der 28. April.

VON WOLFRAM GOSLICH

Mit dem Zug von Berlin Hauptbahnhof in rund 10 Tagen nach Peking – das klingt auch heute für viele noch sehr exotisch. Mit dem Bus von Deutschland über Land nach Schanghai, das scheint für die meisten sogar unmöglich zu sein. Wir fahren nun schon seit Wochen in Richtung Osten – 25 Reisende, zwei Chauffeure, ein Reiseleiter, eine Reisebegleiterin – im ferrariroten 5-Sterne Luxusbus aus Freiburg.

Es ist ein unglaubliches Abenteuer: In rund 74 Tagen über Land in den Fernen Osten, durch endlose Wüsten, vorbei an 6.000 Meter hohen Gebirgsketten, auf modernen Autobahnen, über mörderische Schlaglochpisten, durch liebliche Täler, über abenteuerliche Pässe auf der legendären Seidenstraße mit Unwägbarkeiten aller Art zwischen Teheran, Taschkent, der Wüste Gobi, dem Jangtse und dem Chinesischen Meer; von Freiburg nach Schanghai.

Es ist heiß, auch nachts und immer noch morgens. Aus meinem Hotelfenster schaue ich auf die staubigen Dächer der umliegenden Hütten. Wir sind in Turfan, Oasenstadt auf der Seidenstraße, etwa 130 Meter unter dem Meeresspiegel am Rande der Taklamakan-Wüste in Chinas westlichster Provinz Xinjiang.

Ganze Familien schlafen auf den mit Latten, Grasmatten und Blechen bedeckten Dächern. Die großen Holzbetten, die Kangs, werden im Frühjahr nach oben geschleppt. Es ist ein ganzes Stadtviertel, das dort oben den Tag beginnt. Zwei junge Männer putzen sich die Zähne, beobachten dabei ihre Tauben, die im Verschlag direkt neben den Betten leben.

Eine halbe Etage tiefer räkelt sich der ältere Bruder auf einer blauen Decke, dreht sich um und schläft weiter, während die Nachbarin an der gegenüberliegenden Dachkante frische Maulbeeren pflückt und genussvoll in sich hineinstopft.

Braun bis Gelb, das sind die beherrschenden Farbtöne dieser Tage, die an den Panoramascheiben unseres Luxusliners vorbeiziehen. Schwarz kommt noch hinzu, wir durchqueren die schwarze Gobi, ein riesiges Wüstengebiet. Selten tauchen grüne Pappelreihen auf, die in Nord- und Westchina am meisten auftretende Baumart. Aber hier eben nur sehr selten.

Hami ist eine Wüstenstadt wie vorher schon Turfan. Breite Alleen, die in die Stadt hineinführen, meist gesäumt von hellgrünen Baumreihen, die in den letzten Jahren ganz gezielt angepflanzt wurden, um die zunehmende Versteppung Westchinas aufzuhalten. Vor dem ersten Kreisverkehr von den Ausmaßen eines Flugvorfelds stehen endlose Reihen von Lastzügen.

Hier werden die berühmten knallgelben Hami-Melonen verladen – die auf den Feldern rund um Hami wachsen, gespeist mit Wasser aus den nahen Bergen, die schneebedeckt den Horizont nach Norden einrahmen.

Dorthin zieht es uns. Wir verlassen die staubige Ebene für einen Tagesausflug in die Berge am Barkölsee. Die Straße läuft schnurgerade auf eine tief zerklüftete, dunkelbraune Bergkette zu, riesige Steinquader säumen die Straße, bevor wir im Bus auf einer lang gezogenen Straße in ein enges Gebirgstal hineinfahren. Die Landschaft wird immer schöner, das Tal immer enger, die Straße immer schlimmer: tiefe Löcher, teilweise nur noch welliger Schotter, dazwischen Baustellen, vor denen sich Lkws gegenseitig wie bei einem Rodeo überholen, und alles in Staub gehüllt.

Auf der Hochebene dann – der Himmel ist weit und groß, die Mongolei recht nah. Wir genießen Stunden in der Einsamkeit auf ausgedehnten Bergwiesen, auf denen weiße und violette Krokusse wachsen und Schafe zwischen Telegrafenmasten vor dem schneebedeckten Panorama des Karlik-Shan-Gebirges weiden. Auf dem Weg zurück ist es im Bus ganz still, es war einfach ein Genuss an Farben, an Bildern und Landschaft.

Dieser Bus ist nicht nur rollendes Wohnzimmer, sondern ein verlässliches Raumschiff. Wenn es unterwegs nirgends Kaffee gibt, bietet die Busküche den besten Espresso zwischen Schanghai und Ankara, wenn es kein Restaurant in der Wüste gibt, ist ja auch normal, dann holen wir die chinesischen 5-Minuten-Terrinen raus (da können unsere übrigens einpacken) und machen es uns im Bereich hinten an den Tischen bequem, schauen in die Wüste, sitzen entspannt im Sessel und genießen.

Abends im Bus in der Wüste mit Spielfilmen über China und die Seidenstraße wird es mit einem Glas Rotwein aus der Bordbar oder einem Gin Tonic erst so richtig bequem. Die Klimaanlage surrt leise, es ist angenehm kühl.

Zurück auf der Autobahn nach Osten. Zwischenstopp in einem der kleinen Fernfahrerrestaurants. Herr Wang und seine Frau Li haben eine vierjährige Tochter, die gern mit den Busgästen spielt. Die Küche ist hervorragend, ungläubiges Staunen bei manchen, die die fein geschnittenen Kartoffelstreifen erst für Nudeln halten. Li zeigt, wie es geht. Hier gibt es immer noch keinen Strom, geheizt und gekocht wird mit Braunkohle.

Der Bus ist nicht nur rollendes Wohnzimmer, sondern verlässliches Raumschiff

Vor 15 Jahren kam sie mit ihrem Mann aus Sechuan hierher, um sich eine Existenz aufzubauen. Sie werden bald wieder gehen müssen. Auf der Fernstraße 312 werden bald keine Autos mehr fahren; wenn die neue Autobahn von Schanghai bis an die kasachische Grenze eröffnet wird, sind sie vom Verkehr abgeschnitten und müssen wieder irgendwo anders von Neuem beginnen.

Wir verlassen die Road 312 nach Lanzhou und biegen ab in südlicher Richtung nach Dunhuang, einer ehemaligen Karawanserei am Rande der Wüste. Die Straße zwingt uns, maximal 55 bis 60 Kilometer die Stunde zu fahren – aber egal, wir haben Zeit.

Brütende Hitze, weit und breit kein Dorf, kein Haus, nur Geröll und ab und zu verdörrte Steppengrasbüschel. Am Horizont eine Silhouette. Ein Baum, ein Verkehrsschild? Nein, jemand wandert auf der Straße Richtung Süden, in Richtung nirgendwo. Er hat warme Sachen dabei, und er trägt einen Plastiksack. Wir sind schon vorbei, als uns einfällt, er sammelt wahrscheinlich Plastikflaschen, 1 Kilo für 1 Yuan.

Wir halten und stellen ihm den Sack mit unseren gesammelten Plastikflaschen direkt an die Straße. 300 Meter weiter halten wir noch einmal. Uns ist eingefallen, er braucht auch bestimmt Wasser, und stellen ihm noch zwei gut gekühlte Wasserflaschen auf den Weg. Nach etlichen Kilometern wird uns klar, dass er in jedem Fall in der Wüste wird übernachten müssen, es tauchen einfach keine Häuser auf.

Und dann, nach Wochen, in denen der Reisebus nur eine Richtung kannte, sind wir nur noch wenige Kilometer vom Pazifik entfernt, unser Ziel steht schon auf all den grünen Hinweisschildern: Schanghai!

Tatsächlich – nach rund 4.600 Kilometern endet die Road 312 direkt am Fluss Huangpu, die Skyline direkt vor uns, wir können nur nach links oder rechts abbiegen! Wir sind da! An der Rezeption des New Asia Hotels bekommen wir die Zimmerschlüssel. Mir fällt auf, dass die Damen an der Rezeption so häufig englische Namen haben, eine heißt Erica, dann Wendy, Susan ist auch da und auch Helen.

„Ist das Zufall?“, frage ich, und Helen antwortet: „Nein“, wir haben uns die Namen ausgedacht, und so ist es für europäische Gäste leichter, uns anzusprechen.

Heiß ist es, eher schwül, jede Bewegung löst Schwitzen aus. Aber ich gewöhne mich daran, die Stadt ist so quirlig, faszinierend, gegensätzlich, eben Hafenstadt, da bleibt keine Zeit zu überlegen, ob ich mich bewege oder nicht, diese Stadt nimmt einen einfach mit.

Sonntagmorgen im warmen Nieselregen stehen Männer auf dem Bund, der Flaniermeile am Huangpu, und lassen bunte Drachen steigen, hundert Meter weiter bewegen sich ältere Damen und Herren zu Tai-Chi-Klängen.

Was macht dieses Schanghai so faszinierend? Sind es seine Geschichte, koloniale Konzessionen, französisches, englisches Flair? Die Skyline, bei der die meisten Häuser im Nebel verschwinden, weil sie drei-, vier- oder fünfhundert Meter hoch sind? Sind es die unzähligen Leitungen, die kreuz und quer über den Straßen hängen?

Am Horizont eine Silhouette. Ein Baum, ein Verkehrsschild? Nein, jemand wandert

Wahrscheinlich ist es alles zusammen.

Für die meisten Gäste ist die Reise in Schanghai zu Ende, viele sind nach Hause geflogen, einige mit der Transsib auf dem Heimweg oder haben noch ein paar Tage in Hongkong rangehängt.

G 40, G 30, G 312 – die Bezeichnungen der großen Fernstraßen nach Westen –, das sind jetzt seit Tagen unsere Koordinaten. Im Zeitraffer geht es zurück nach Westen. Jeden Tag legen wir im roten Bus zwischen 400 und knapp 1.000 Kilometer zurück.

Durch das dicht besiedelte, grüne, nur zwischen Regen und Nebelschleiern erkennbare Ostchina hinein in die wild zerklüfteten Lössberge zwischen Xi’an und Lanzhou, über den Jangtse und den Gelben Fluss. Die Wärme bleibt, das Grün geht, es wird trocken, wir kommen wieder in die Wüste nach nur vier Tagen, die wir vom Ostchinesischen Meer weggefahren sind. Rechts von uns im strahlenden Mittagslicht ein Lehmbau, wir sind wieder am westlichen Ende der Chinesischen Mauer, die hier nur in Bruchstücken noch sichtbar ist.

Wir stoppen genau dort, wo die Straße die Mauer durchschneidet. Eindrucksvoll! Und dann fallen schlagartig die Temperaturen – in 30 Minuten von 31 auf etwas über 20 Grad Celsius. Der Wind nimmt zu, es beginnt zu regnen. Am nächsten Morgen zeigt das Thermometer nur noch 14 Grad an, mitten im Sommer, mitten in der Wüste, irgendwo in Zentralasien!

Vor uns noch tausende von Kilometern nach Westen – zurück nach Freiburg: Wir durchqueren einen Wald von weißen Windmühlen, die Ökostrom liefern. Auch der rote Bus liefert umweltverträgliche Bestnoten: 17,8 Liter Dieselverbrauch auf 100 Kilometer, er wiegt 22 Tonnen und bietet Platz für 37 Personen.