: Spanien – quo vadis?
Spaniens Wissenschaft wächst seit Jahren im Vergleich zu vielen anderen Staaten überproportional. Doch viele Wissenschaftler sind skeptisch: Denn trotz positiver Daten drohen die Erfolge durch eine falsche Bildungspolitik zerstört zu werden
VON KATHRIN BURGER
Nach Spanien gefragt, mag sich so mancher an den letzten Urlaub erinnern. Mit einer florierenden Wissenschaft wird man das südeuropäische Land eher nicht in Verbindung bringen. Und doch befindet sich die spanische Wissenschaft seit Jahren im Aufschwung. Spaniens Anteil an der weltweiten Forschung betrug 1985, am Ende der Franco-Diktatur etwa 1 Prozent, 2003 waren es 3.
Vergleichbare Länder wie die Schweiz oder Holland wuchsen in der gleichen Zeitspanne minimal. Laut der Datenbank „Thomson Scientific National Science Indicators“, die Veröffentlichungen in Wissenschaftsmagazinen und deren Resonanz beobachtet, belegt Spanien immerhin Platz 12, hinter Schweden. Deutschland ist Dritter. Vor allem im Bereich Agrarwissenschaft, Raumfahrt, Mathematik, Mikrobiologie und Chemie stammen immer mehr Entdeckungen aus Spanien. Zudem befindet sich die Anzahl der Patente im Aufwärtstrend: 1994 gingen keine Patentanmeldungen aus Spanien beim europäischen Patentamt ein, während es 2005 schon 547 waren. National stieg die Zahl der eingereichten Patente von 2.673 auf 3.252 in zehn Jahren.
Auch bei den Politikern steht die Förderung der heimischen Wissenschaft derzeit auf der Agenda. Einerseits gibt es von rechtlicher Seite kaum Einschränkungen. Beispielsweise werden das Klonen, der Anbau von gentechnisch veränderten Organismen oder die Erforschung schmerzstillender Wirkungen von Drogen wesentlich laxer gehandhabt als in vielen anderen Staaten.
Zudem hatte Spaniens Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero beim Amtsantritt 2004 versprochen, den Etat für Bildung bis 2008 zu verdoppeln. Nur ist bislang nicht viel geschehen. Zwar wurde noch von Zapateros Vorgänger José María Aznar ein Rückkehrerprogramm, benannt nach dem Nobelpreisträger Santiago Ramón y Cajal, gestartet. Damit wurden vor sechs Jahren 2.000 emigrierte Koryphäen wieder ins Land geholt. Diese Verträge liefen jedoch letzten Herbst aus – ohne Aussicht für die Betroffenen auf eine feste Stelle. Man spricht von einem Desaster, weil derzeit viele Akademiker auf der Straße stehen.
Zahlreiche Wissenschaftler sind daher trotz positiver Zahlen eher skeptisch. Zumal auch frühere Regierungen nach Gutdünken immer wieder den Bildungsetat auf ein Minimum gekürzt hatten. „Es gibt überhaupt keine Kontinuität,“ klagt etwa Alberto Ferrús, Vizepräsident am neurobiologischen Instituto Ramón y Cajal in Madrid. Auch reiche es nicht, einzelne Personen mit teurer Laborausstattung zu locken. „Geniestreiche stammen immer von einer Arbeitsgruppe“, so Ferrús. „Santiago Ramón y Cajal hat seinen Nobelpreis auch nur erhalten können, weil um die Jahrhundertwende Spanien über ein hervorragendes Bildungssystem verfügt hat.“
Doch im zuständigen Ministerium hat man das noch nicht verstanden. Mit großem Brimborium und viel Geld wurde etwa ein Krebsforschungszentrum in Madrid errichtet, das Centro National de Investigaciones Oncológicas (CNIO). Seit 1999 soll dort konkret zur individualisierten Krebstherapie geforscht werden. Bis heute gibt es dazu keine erwähnenswerten Neuigkeiten aus dem CNIO.
Auch die einzelnen autonomen Comunidades versuchen sich zu profilieren, vor allem das Baskenland, Katalonien und Andalusien. Barcelona soll etwa zum Zentrum für biomedizinische Forschung werden. Für den Barcelona Biomedical Research Parc, medienwirksam eröffnet im Juni 2006, hat die katalanische Regierung das bekannte Architektenduo Manel Brullet und Alberto de Pineda verpflichtet. Das elliptische Gebäude ist mit seiner holzähnlichen Fassade eine ästhetische Attraktion. Ob hier aber auch die Forschung brillieren kann, muss sich erst noch beweisen. Tatsache ist, dass viele Labore bis dato leer stehen.
Jordi Camí, Direktor des Wissenschafts-Parks, gibt sich verhalten optimistisch. Seine statistischen Auswertungen zeigen: „Biomedizinische Fortschritte sind vorhanden. Von der Elite sind wir aber weit entfernt.“
Neue Medikamente stammen beispielsweise selten aus Spanien. Der Grund: Kleine Pharmafirmen wurden in den letzten Jahren von Multis aufgekauft. Deren Forschungsabteilungen sind aber in Großbritannien oder in der Schweiz. In den spanischen Filialen geht es nur um Vertrieb und Marketing. Schließlich ist Spanien einer der größten Pharma-Märkte in Europa.
Während die Politiker immense Summen in einzelne Top-Wissenschaftler investieren, sind normale Forscherstellen dagegen im internationalen Vergleich schlecht dotiert. So erhält ein promovierter Wissenschaftler nur etwa 200 Euro mehr als ein Doktorand. In Deutschland verdoppelt sich das Gehalt im gleichen Fall auf gut 2.000 Euro. Ausländer zieht es deshalb auch nicht gerade nach Spanien.
Zwei Doktoranden der Universität Valencia arbeiteten sogar ohne jegliches Geld vom Staat an einem Paper mit, das als Leitartikel im renommierten Fachmagazin Nature erschien. Sie entdeckten, wie Gene, die einen Tumor wachsen und sterben lassen, reguliert werden – wichtig für zukünftige Krebstherapien. Doch auf solch eine Aufopferungsgabe für die Wissenschaft lässt sich nicht bauen. Damit Spanien in der ersten Liga spielt, muss Bildung weitaus breiter gefördert werden. Dazu gehört auch eine Reform des Universitätssystems, die zwar auch schon geplant ist, momentan aber auf sich warten lässt.
Ein Sprichwort bringt die traditionellen Prioritäten der hispanischen Gesellschaft auf den Punkt: „Der Spanier blickt zuerst zum Himmel, dann auf die Erde.“ Jahrhundertelang kam also vor der Wissenschaft die Religion. Das mag das mangelnde Gespür der Politiker heute erklären.