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Archiv-Artikel

Luther müsst’s in den Fingern jucken

betr.: „Auf Kreuzfahrt mit dem Bischof“, taz vom 25. 1. 07

Ach, wenn es doch nur so einfach wäre: Ein Geistlicher, von der verfassten Kirche mit dem unaussprechlichen Titel „Landessuperintendent“ ausgestattet, wollte so herzlich gern ein Bischof sein, dass ihn auch die virtuelle Realität einer Kleinstlandeskirche nicht schreckte, sondern mehr noch: Da kann er nun endlich Servietten falten nach Herzenslust und Brötchen nach Hausmeisterart verspeisen und auch ansonsten ganz dicht dran sein an der Basis. Wenn es nur das wäre – dann könnte man den Beitrag Philipp Gesslers als einen realsatirischen Beitrag lesen, der es versehentlich nicht auf die letzte Seite geschafft hat.

Weil es aber nicht so ist, gewinnt das ziellose Herumreisen eines Hirten auf der vergeblichen Suche nach seinen (verlorenen) Schafen Zeichencharakter und bittere Faktizität: Navi, Dienstwagen und Fahrer – die modernen Übertragungen von Mitra und Hirtenstab –, sie entgleiten gemeinsam mit dem breiten Kirchenvolk ihren Oberen wie der Besen dem Zauberlehrling.

Der so genannte Zukunftskongress in der Lutherstadt Wittenberg suggeriert in diesem Zusammenhang ein Doppeltes: Einmal gaukelt schon der Name vor, es ginge allein um die Zukunftsfähigkeit der Evangelische Kirche in Deutschland. Und darüber hinaus sei er selbst bereits Ausdruck dieser Zukunftsfähigkeit. Beides ist falsch: Zu allererst müsste die weitaus schmerzhaftere Frage nach der Gegenwartsfähigkeit der Protestanten gestellt werden.

Es ist die eine Wahrheit, dass aufgrund der prognostizierten demografischen Entwicklung das Kirchenvolk weiterhin kleiner werden wird. Aber es ist die andere Wahrheit, dass in den vergangenen dreißig Jahren gerade die Multiplikatoren ethischer Werte in Scharen den Schoß der Mutter Kirche verlassen haben, weil sie sich mit ihren Kompetenzen und ihren jeweiligen religiösen und sozialen Bedürfnissen nicht ernst genommen gefühlt haben. Angesichts des reformatorischen Kirchenbildes von einer ecclesia semper reformanda kann wohl angenommen werden: Wäre der Theologieprofessor Dr. Martin Luther nach Wittenberg eingeladen, so müsste es ihn in den Fingern jucken, dass er mit seinem Tintenfass werfen wollte.

NICOLE BECKMANN, Pastorin, Recklinghausen