: Der Papa des Peloton tritt ab
TOUR DE FRANCE Jens Voigt packt auf seiner letzten Frankreichrundfahrt die Melancholie
AUS CARCASSONE TOM MUSTROPH
Ein Berliner schreibt in Frankreich Radsportgeschichte. Jens Voigt (42) ist der älteste Profi im Peloton. Manch ein Teamchef, der im Begleitwagen hinterherbraust, ist jünger als er. Sein eigener Boss beim Team Trek, der Italiener Luca Guercilena, ist erst 40. Mit seiner 17. Tourteilnahme schließt Voigt auch auf zu den Rekordhaltern George Hincapie und Stuart O’Grady. Im Gegensatz zu diesen beiden hat er die Hoch-Epo-Ära, die einen Großteil seiner Karriere beeinflusste, ohne positiven Test oder späte Geständnisse überstanden. Bei seiner definitiv letzten Frankreichrundfahrt spürt er das Alter allerdings stärker als befürchtet zwacken.
Die 101. Tour de France kennt zwei Jens Voigts. Beide tragen zwar die Nummer 168. Der eine steigt aber am Morgen voller Tatendrang aus dem schwarz glänzenden Mannschaftsbus von Trek, grüßt fröhlich nach links und rechts und mischt gleich nach dem scharfen Start wild mit in der Fluchtgruppenlotterie.
Der andere Voigt kommt am frühen Abend abgekämpft ins Ziel. Die Siegerehrung ist da schon in vollem Gange. Die Augen sind müde. Und statt eines Schwätzchens will er schnell den Bus erreichen. Später dann, frisch geduscht und etwas munterer, redet er doch. Er spüre das Alter schon, gibt er zu: „Die letzten zwei Tage nach dem Ruhetag habe ich mich gefragt, ob wir wirklich unglaublich schnell gefahren sind und alle das gespürt haben oder sich doch die 42 Jahre bemerkbar machen.“ Er selbst tendiert dazu, sein Alter verantwortlich zu machen.
Immerhin, zu Beginn der Tour hat Voigt die Ziffer 42 kurz vergessen lassen und alle Welt ein letztes Mal verblüfft. Auf der ersten Etappe stiefelte er dem Feld davon und holte sich schlau vier Bergpunkte. Die reichten für das Klettertrikot und einem medienwirksamen Auftritt bei der Siegerehrung mit Siegerküsschen. Ein schöner Coup, dem Voigt auch weitere folgen lassen wollte. „Ich schäme mich ja fast, es zu sagen, aber ich hatte auch an fast allen anderen Tagen vor, einen Akzent zu setzen. Ich komme nur nicht weg“, gestand er der taz.
Für einen der Ausreißerkönige der Tour ein schmerzhaftes Eingeständnis. Zwei Touretappensiege hat er so errungen, einen beim Giro. Sogar im Gelben Trikot ist er kurz gefahren, jeweils 2001 und 2005. Auch aktuell bekommt er von den Tourorganisatoren noch gelbe Leibchen – allerdings nur für seine Kinder. Sechs Stück bekam er letzte Woche geschenkt. „Ich hatte mich schon gewundert, warum sie Namen, Alter und Größe von meinen Kindern wissen wollten“, erzählt Voigt. Marc (18 Jahre alt), Julian (fast 15), Adriana (11), Kim-Helena (9) und Maya (6) dürften die Leibchen passen, meint er. Nur für die Jüngste, Helen (3), prognostiziert er Schwierigkeiten: „Sie hatten gar kein so kleines Trikot, dass es für eine Dreijährige passt. Aber sie ist so verrückt, dass sie es trotzdem anzieht und mit einem Gürtel als Kleid trägt.“
Mit einem Gelben Trikot für den Papa wird es bei dieser Tour nicht mehr klappen. Zweieinhalb Stunden lag er vor den Pyrenäen hinter dem Gesamtführenden Nibali zurück. Aber Voigts Problem ist, dass ihm die Konkurrenz nicht einmal zwei Minuten gönnt. „Da fahren zwei Hanseln weg – und keiner zuckt. Hebe ich aber meinen Hintern, dann springen 50 Mann. Ich denke dann: Hey, Leute, ich bin 42, ich kann das sowieso nicht gewinnen“, klagt er, nur um dann die Erklärung nachzuschieben: „Das ist die Reputation. Die hält länger als die Form.“ Den Zeitpunkt, an dem die anderen ihn aus Gnade wegfahren lassen, will Voigt nicht eintreten lassen. „Mit dieser Tour ist Schluss“, legt er sich fest.
Zum Abschied kann man ihm nur wünschen, dass eine besondere Art von Reputation auch übers Karriereende hinaus Bestand hat – anders als bei den Mitrekordhaltern Hincapie, der vor Usada-Chefermittler Tygart schwach wurde, und O’Grady, der kurz vor Bekanntgabe eines Berichts des französischen Senats über Doping bei der Tour 1998 kleinlaut Epo-Einnahme zugab. Aber die Nada ist nicht Usada, und bis das deutsche Parlament ein Antidopinggesetz auf die Reihe bringt, sind schon wieder Wahlen. Aber das ist ein anderes Thema.