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Archiv-Artikel

„Methadon kickt nicht“

Weil er Kevins Ziehvater nicht nur Methadon verschrieben hat, darf ein Bremer Arzt nicht länger Junkies substituieren. Doch Beigebrauch gehört zum Geschäft, sagt der Suchtforscher Jens Reimer

Interview: Eiken Bruhn

Bremer Politiker haben dem Beigebrauch bei substituierten Drogenabhängigen den Kampf angesagt. Welche Substanzen sind damit überhaupt gemeint?

Jens Reimer, Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin: Das sind im engeren Sinne illegale Drogen wie Heroin, Cannabis und Kokain, Alkohol könnte man dazu zählen, aber auch Benzodiazepine, die eine entspannende, beruhigende Wirkung haben, ähnlich wie die früher bei Schlafstörungen verschriebenen Barbituriate, die den Nachteil hatten, das man sich mit ihnen vergiften kann.

Diese Beruhigungsmittel werden von den substituierenden Ärzten verschrieben, oder?

Ja.

Auch wenn es eigentlich in den Richtlinien zur Substitutionsbehandlung heißt, dass diese nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden dürfen?

Das ist ein schwieriger Punkt. Wenn man als Arzt einen opiatabhängigen Patienten behandelt, dann hat man sich für die Behandlung eines schwerkranken Menschen entschieden. Dazu kann gehören, dass man Benzodiazepine zur Beruhigung verschreibt, auch wenn man ein Bauchgrummeln dabei hat. Die Alternative wäre, dass sich der Patient auf dem Schwarzmarkt in der Szene die Substanzen besorgt und sich damit in den unkontrollierten Gebrauch begibt.

Warum das Grummeln?

Das Dilemma ist, dass diese Patienten für Abhängigkeiten anfällig sind und man ihnen eigentlich nichts verschreiben möchte, was ein zusätzliches Abhängigkeitspotential birgt. Es ist aber oft so, dass die Patienten, wenn sie in Substitution kommen, bereits abhängig sind von Beruhigungsmitteln. Für manche Kollegen ist das ein Grund, die Substituierung abzulehnen und darauf zu drängen, dass erst einmal der Beigebrauch aufhört.

Was würden Sie in einem solchen Fall machen?

Ich halte es für besser, ihn oder sie erst mal in das Behandlungssystem zu integrieren, einen Kontakt aufzubauen und dann schrittweise auch andere Substanzen zu entziehen.

Wie viele Substituierte konsumieren neben dem Heroinersatzstoff noch andere Drogen?

Zwischen 30 und 50 Prozent.

In den Richtlinien zum Methadonprogramm heißt es auch, dass eine psychosoziale Begleitung sicher gestellt sein muss. Was passiert, wenn diese nicht stattfindet?

Das ist wie bei der Frage nach dem Beigebrauch ein heikles Thema und wird von Praxis zu Praxis und Region zu Region unterschiedlich gehandhabt. Soll man jemand aus dem Programm entlassen, wenn er keine Begleitung will?

Sollte man?

Man sollte versuchen es zu vermeiden, aus denselben Gründen, die ich schon genannt habe.

Viele Patienten werden ja schon seit sehr langer Zeit, zum Teil seit 20 Jahren substituiert. Ist in diesen Fällen die Behandlung gescheitert?

Nein, diese Frage geht davon aus, dass die Behandlung zur Abstinenz führen muss, was zwar einem großen Teil der Patienten gelingt, vielen aber auch nicht. In diesen Fällen ist es ein Erfolg, wenn es ihnen einigermaßen gut geht, wenn sie nicht sterben. Man kann das mit einer unheilbaren Krebserkrankung vergleichen, die jemand sein Leben lang begleiten wird. Dem würde man auch nicht sagen, du hast nach zwei Jahren immer noch Krebs, jetzt lohnt sich eine Behandlung nicht mehr oder bestraft ihn für einen „Rückfall“, weil sich neue Metastasen gebildet haben. Sucht muss man als chronische lebensbegleitende Krankheit verstehen.

Welchen Nachteil hat das Methadon gegenüber Heroin?

Methadon gibt nicht Kick wie Heroin, ist nicht euphorisierend, deswegen gibt es zum Teil auch den Beigebrauch.

Dann müssten diejenigen, die jetzt fordern, den Beigebrauch einzudämmen, sich eigentlich für die staatliche Heroinabgabe einsetzen?

Ja, für diese schwerstkranken Patienten brauchen wir eine Alternative.

Wozu braucht es noch ein Methadonprogramm?

Durch die Substituierung konnte die Sterberate extrem gesenkt werden, außerdem haben sich weniger Menschen mit Hepatitis C oder HIV infiziert. Meine Befürchtung ist, dass diese Erfolge derzeit nicht gesehen werden und die Methadonabgabe weiter erschwert werden soll.