SCIENCE-FICTION : Taxi nach Hause
Samstag, 2.30 Uhr am Nollendorfplatz. Hinter mir lag ein lustiger Abend bei einer argentinischen Freundin in der Motzstraße. Auf dem U-Bahngleis rieb ich mir verwundert die Augen. „Out of service“ stand auf den Anzeigetafeln. Ich ging zur Bushaltestelle, wo es einen Nachtbus nach Friedrichshain gab. Der nächste würde in fünf Minuten kommen. Doch der Nachtbus fuhr nur in der Woche. Samstags fuhr ja die U-Bahn durch, normalerweise.
Ich beschloss, ein Taxi zu nehmen. Dazu musste ich erst einmal zur Sparkasse. In der Ecke des Schalterraums, wo die Geldautomaten standen, saß ein Securitas-Wachmann in taubenblaugrauer Uniform. Unter neonkaltem Licht war er in ein Buch vertieft. Ich gab meine Geheimnummer ein und fragte ihn, ob es ein spannendes Buch sei. Langsam hob der junge Mann den Kopf und schaute mich durch eine runde Brille an. „Es gibt nichts Irdisches, was mich noch überraschen könnte“, sagte er mit einem Akzent, wie er für Polen typisch ist. „Ich lese nur noch Science-Fiction.“ Ich zog mein Geld heraus und wünschte ihm alles Gute für die Zukunft.
Zusammen mit seinem Satz „Es gibt nichts Irdisches, was mich noch überraschen könnte“ stieg ich in ein Taxi. Nach wenigen Minuten wusste ich, dass der Fahrer seit 15 Jahren hinterm Steuer saß, es liebte, seine Zeit selbst einteilen zu können, und früher mal die taz abonniert hatte. Als ich ihm erzählte, dass ich viele Jahre bei der taz gearbeitet habe, fragte er, ob er nach meinem Namen fragen dürfe. „Was???“, rief er und schleuderte seinen Kopf zu mir nach hinten. „Barbara Bollwahn de Paez Casanova???!!! Ich glaub’s nicht!“
Mein ehemals langer Name hatte sich in sein Hirn eingebrannt. Den Aust habe er schon gefahren, erzählte er, den Böhm, und auch den Wagner. Jetzt saß ich bei ihm im Wagen. Ich freute mich, wie mich das Irdische noch immer überraschen konnte.
BARBARA BOLLWAHN