Forscher kommen ins Schwitzen

Da werden selbst abgebrühte UN-Experten unruhig: Die Erde erwärmt sich bis 2100 um bis zu 6,4 Grad, die Meeresspiegel steigen stark an

AUS PARIS BERNHARD PÖTTER

„Das nächste Dia, bitte!“ Mit gleichbleibend monotoner Stimme führt Susan Solomon durch die wichtigsten Ergebnisse des IPCC-Berichts über den Klimawandel. Professionell, aber langweilig leiert die Vorsitzende der Arbeitsgruppe I ihren Text herunter. Hunderte von Journalisten und Dutzende von Kamerateams im vollbesetzten Konferenzsaal der Unesco an der Avenue de Suffren in Paris werden unruhig. Sie erwarten den Weltuntergang. Sie bekommen eine Vorlesung in Physik.

Dabei sind die Fakten auf den 21 Seiten der „Zusammenfassung für Entscheider“ besorgniserregend genug. Vier Tage haben etwa 300 Wissenschaftler und Politiker aus 130 Staaten um jedes Wort gefeilscht. In neutraler Expertensprache beschreiben sie, wie und warum die Welt sich verändert. Zwischen den Zeilen steht die Besorgnis, dass der Klimawandel bald nicht mehr zu steuern ist. „Es gibt hier eine ganze Menge Wissenschaftler“, sagt Kevin Trenberth vom National Center for Atmospheric Research (USA), einer der Autoren der Studie, „die machen sich mehr Sorgen, als dieser Bericht vermuten lässt.“

Aber das sagt er nur im kleinen Kreis. Denn auch die offiziellen Zahlen und Einschätzungen sind eindrucksvoll genug. Je nach Szenario kann sich die Durchschnittstemperatur der Erde bis 2100 um mindestens 1,1 Grad, höchstens um 6,4 Grad erhöhen. Die Meeresspiegel steigen nach dem Bericht zwischen 18 und 59 Zentimeter an. Der Temperaturanstieg und die Ausdehnung der Meere werde noch Jahrhunderte weitergehen, selbst wenn der CO2-Ausstoß jetzt stabilisiert würde. In jedem Jahrzehnt werden die globalen Temperaturen um 0,2 Grad steigen – im globalen Durchschnitt. Das aber bedeutet, dass etwa in der Arktis die Durchschnittstemperatur um fast 10 Grad zunehmen kann. Insgesamt gehen die Wissenschaftler davon aus, dass bei der Verdopplung des Gehalts an Kohlendioxid in der Atmosphäre – bei einem „Weiter-so-Szenario“ durchaus denkbar – die globale mittlere Temperatur um 3 Grad ansteigt. Das läge deutlich über dem, was von der deutschen und der europäischen Politik als noch erträgliches Maß an Klimaveränderung definiert worden ist: 1,5 bzw. 2 Grad Celsius.

Das IPCC hält es inzwischen für „sehr wahrscheinlich“, dass die Verbrennung von Kohle und Öl für den Klimawandel verantwortlich ist. In dem neuen Bericht finden sie auch den „menschlichen Fingerabdruck“ bei der Erwärmung der Meere, den zunehmenden Hitzewellen und Stürmen. Und sie sind sich einig, dass die Polgebiete sich verändern, Regen anders fällt, Ozeane saurer werden und Dürren zunehmen.

Der vierte IPCC-Bericht ist der ausführlichste Report über den Planeten im Hitzestau, den es je gab. Und er warnt vor einem Szenario, das noch vor kurzem als Hirngespinst abgetan wurde: Liegen die Temperaturen langfristig 1,9 bis 4,6 Grad höher (durchaus im Bereich des Möglichen also), würde die Eiskappe von Grönland vollständig schmelzen – und den globalen Meeresspiegel um 7 Meter anheben.

Hinter der coolen Debatte der Wissenschaftler und dem Interessengerangel der Politiker macht sich Nervosität breit: „Der Klimawandel hat sich etwa seit 2000 beschleunigt“, mahnt etwa Michael Müller (SPD), als Umweltstaatssekretär in der deutschen Delegation. Die Fakten sprechen für sich: Elf der letzten zwölf Jahre gehören global zu den wärmsten, die je verzeichnet wurden. Der jährliche Ausstoß von CO2 hat sich von 6,4 Milliarden Tonnen in den 90er-Jahren auf 7,2 Milliarden 2000–2005 erhöht und die Atmosphäre reichert sich immer schneller mit CO2 an.

Hinzu kommen die Entwicklungen, die von den Klimamodellen bisher kaum erfasst werden und die deshalb im IPCC-Bericht kaum zur Geltung kommen. Wissenschaftler bestätigen, dass etwa das massive Auftauen der Permafrostböden in der arktischen Tundra und der damit verbundene Ausstoß des Klimagases Methan in den Berechnungen bisher kaum berücksichtigt wird. Und die Eismasse auf Grönland schmilzt offenbar schneller, als Computermodelle bisher berechnet hatten. Wegen dieser unsicheren Daten wurde der Effekt der Grönland-Schmelze im IPCC-Bericht kurzerhand unterschlagen.

„Wir sind nicht hier, um der Politik Ratschläge zu erteilen“, meinte Susan Solomon auf die Frage, was aus dem Bericht folge. Der IPCC-Vorsitzende Rajendra Pachauri hatte schon vor der Konferenz seine vornehme Zurückhaltung aufgegeben: „Ich hoffe“, sagte Pachauri, „unser Bericht wird die Menschen und die Regierungen schockieren.“