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Aschenbecher und Lampen aus Schädeln

■ In den St. Petersburger Sümpfen suchen Schwarzgräber nach Kriegsmaterial

St. Petersburg (taz) – Klein, untersetzt, Wodkafahne und den ganzen Körper mit Hakenkreuzen tätowiert: Sergej Iwanow aus St. Petersburg, der seit dem Ende seines Wehrdienstes arbeitslos ist. Rechtzeitig zu den Feiern am 9. und 10. Mai anläßlich des russischen Sieges über die Nazis sind er und sein Freund vor Ort: in Gajtolowo, einem kleinen Dorf rund 60 Kilometer nordwestlich von St. Petersburg. Schätzungen zufolge sollen in diesem Gebiet, den sogenannten Sinjawinski-Sümpfen, während der Blockade von St. Petersburg fünf bis sieben Millionen Menschen bei den Kämpfen zwischen sowjetischen und deutschen Truppen umgekommen sein. Bis heute birgt das ehemalige Schlachtfeld noch Unmengen an Knochen und Kriegsmaterial.

„Gestern haben wir Schüsse abgefeuert. Das war unser Ehrensalut für die getöteten Soldaten des Führers“, sagt Sergej. Seit kurzem fahren er und sein Freund wieder jeden Tag in die sumpfigen Wälder bei St. Petersburg. Beide sind Mitglieder der faschistischen Jugendorganisation „Ingri“, einem Grüppchen, das in St. Petersburg 15 bis 20 Mitglieder hat. Die Losung ist so einfach wie griffig und daher auch für Leute wie Sergej zu verstehen: Gegen Juden und Kaukasier und für die Reinheit der russischen Rasse. „Aber“, sagt Sergej, „Politik interessiert uns überhaupt nicht.“

Er und sein Freund graben in den Sümpfen nach Hinterlassenschaften der Hitlertruppen. Knochen von deutschen Soldaten beerdigen sie „feierlich“. „Dann bauen wir ein Kreuz und hängen einen deutschen Helm dran, um den Ort wiederzufinden“, sagt Sergej. Die anderen Fundstücke sind bei ihm zu Hause zu besichtigen, eine ganze Sammlung: deutsche Orden, Erkennungsmarken von Wehrmachtsoldaten, Helme mit SS-Emblem, Kochgeschirre, Granaten, Minen, ein Gewehr und eine Militärjacke eines deutschen Fliegergenerals. Das Geschäft mit deutschem Kriegsmaterial floriert. Eine Erkennungsmarke ist auf dem Schwarzmarkt für 30 Dollar zu haben, ein Eisernes Kreuz für 40 Dollar, Aschenbecher und Lampen, die aus Schädeln hergestellt sind, kosten 50 Dollar. Ein aufgearbeiteter SS-Dolch wechselt für 100 Dollar den Besitzer.

„Damit handeln wir nicht“, sagt Sergej. „Das sind für uns Heiligtümer. Wir verkaufen Sprengstoff, und Bomben, die wir selbst herstellen. Davon gibt es hier genug.“ Für Sprengstoff kassiert der 25jährige 20 Dollar, für eine Bombe bis zu 1.000 Dollar. Vor kurzem verkaufte Sergej einen selbstgebastelten Sprengsatz inklusive Gebrauchsanweisung an Mitglieder einer St. Petersburger Mafiabande. Die legten gleich ein Geschäft in Schutt und Asche – in Rußland eine alltägliche Erscheinung.

Angst, bei seiner täglichen „Arbeit gestört“ zu werden, hat Sergej nicht. Wovor auch. Die Behörden sind zwar über das Problem bestens im Bilde. Den „Schwarzgräbern“ droht eine Haftstrafe. Wenn sie gefaßt werden. Denn bis jetzt ist der Miliz kaum etwas eingefallen. Eine der wenigen Maßnahmen: Mehr Uniformierte als sonst bevölkern die St. Petersburger Vorortzüge. Und noch eine andere, ähnlich effektive Methode hat sich die Miliz ausgedacht, um gegen die „Schwarzgräber“ vorzugehen. Über den Wäldern von St. Petersburg werden ab jetzt hin und wieder ein paar Hubschrauber kreisen. Maxim Korshow

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