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Schlingensiefs Container

■ Zeig mir, was du wegschmeißt, und ich sage dir, zu welcher Gesellschaft du gehörst: Müllfestspiele an der Volksbühne mit Kenneth Anger, Helge Schneider u.a.

Unter Abfall versteht man gemeinhin Abfälle aus Haushalt, Gewerbe oder Industriebetrieben, die in speziellen Behältern gesammelt, abtransportiert und nach verschiedenen Methoden weiterverarbeitet werden. Wie eben diese Weiterverarbeitung mit kulturellem Müll geschieht, werden die Müllfestspiele an der Volksbühne am Freitag und Samstag zeigen. Quasi als „Vorbereitung“ zu Christoph Schlingensiefs neuer Inszenierung „Rocky Dutschke 1968“, die am nächsten Freitag Premiere hat, wird im Roten Salon allerhand Mülliges zu sehen sein.

Zeige mir, was du wegschmeißt, und ich sage dir, zu welcher Gesellschaft du gehörst. Noch für die Römer war Geschichte „re gestae“, „gemachte Sachen“, Geschichte zum Anfassen also. Die Müllfestspiele wollen die Reste von Geschichte wiederaufbereiten und verwertbar machen bzw. die Frage nach der Wiederverwertbarkeit stellen. Daß dabei vor Ort alles angefaßt werden darf, versteht sich von selbst, was man dann aber selbstverschuldet in der Hand hat, läßt sich vorneweg schwer einschätzen. Auf dem Programmzettel ist schon mal das Logo der Resterampe „Conny's Container“ abgedruckt, so daß man die passenden Accessoires (Wurfgeschosse?) gleich mitbringen kann.

Ein Abend aus Resten also, Reste einer Generation, Reste von Kunst, die selbst aus Resten entstanden ist. Etwa Kenneth Angers Film „Lucifer Rising“, den er, nachdem ein vermeintlicher Freund den Film gestohlen und irgendwo in der Erde vergraben hat, aus Resten des alten neu zusammenschnitt. Auch die Candy Man, eine strippende Männerformation (zu sehen am Samstag, Zucker!) sind gewissermaßen aus Resten entstanden: aus dem „Restbedarf“, den die strippenden Kolleginnen noch über ließen.

Anger, der Godfather des Videoclip, ist nach über vierzig Jahren wieder in Deutschland und wird auf dem Festival auch einige weitere Filme zeigen, unter anderem „Scorpio Rising“, einen Lieblingsfilm von Martin Scorsese. Die kuriose Verbindung von Sex, Mythos und religiösen Aspekten, die auch durchaus vor ihm schon Menschen faszinierte, machte ihn nichtsdestotrotz zum „Magier der Filmschichte“.

Neben Anger präsentiert die Volksbühne auch weitere Sechziger-Jahre-Heroen: Kurt Kren, der durch serielle Montagen berühmt wurde, oder den Schlechte-Filme- Künstler Vlado Kristl, der u.a. mit Sekundenfilmen brillierte, die eigentlich gar nicht zu sehen sind. Ein Programm aus all dem, was eben so von den Tagen übrigblieb.

Laut Schlingensief sind Angers Filme diejenigen, die „man als erstes anschaut, wenn man an der Filmhochschule abgelehnt wurde“ – eine Bemerkung, aus der man diverse Schlüsse auf Schlingensief, Anger oder das Zielpublikum ziehen kann, aber nicht muß. Auch Klaus Beyer ist übrigens eingeladen und singt natürlich Beatles- Ständchen, und Helge Schneider kommt – wenn er denn kommt – ohne „Katzeklo“, aber mit Band und spielt Jazz oder vielleicht auch etwas anderes. Anja Schermuly/peko

Heute und morgen, jeweils ab 20 Uhr, open end. Genaues Programm in der Volksbühne erfragen, Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte, Telefon: 2476772. Die Karten kosten 21 (15) Mark.

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